„Wenn irgendwo in der Welt ein Arbeiter vor einem Panzer seine nackten Fäuste erhebt und hinausschreit, dass er kein Sklave ist, kann uns dies dann einfach gleichgültig lassen? (…) Das ist doch eine Kapitulation, die wir hier miterlebt haben, und deshalb ist es nicht nur die Empörung, sondern auch der Abscheu, die uns heute Abend hier sprechen lassen.“ (1)
17. Juni 1953: Heute vor 60 Jahren gingen in Ostberlin und über 500 weiteren Orten in der DDR die Arbeiter gegen die kommunistische Regierung auf die Straße. Sie standen auf gegen Unterdrückung, Misswirtschaft und immer höhere Arbeitsnormen, für die Freiheit. Es kam zu Streiks, Kundgebungen und auch zu Gewalttätigkeiten gegen offizielle Personen oder Einrichtungen. Die Angaben über die Beteiligten schwanken zwischen 400000 und 1,5 Millionen Menschen. Gegen Mittag des 17. Juni wurde durch den Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin in Ost-Berlin der Ausnahmezustand verkündet – die Sowjetunion übernahm offiziell wieder die Regierungsgewalt über die DDR. Sowjetische Panzer fuhren in den Straßen auf, 20000 Soldaten waren im Einsatz. Der Volksaufstand wurde blutig zerschlagen. Erst am 11. Juli wurde der Ausnahmezustand und damit auch das Kriegsrecht wieder aufgehoben (Quelle: Wikipedia).
Camus bezieht anlässlich dieser Ereignisse öffentlich Stellung gegen die kommunistische Unterdrückung in der DDR. Vielleicht wird man heute Abend in Bonn mehr dazu erfahren? „Albert Camus und Deutschland“ ist das Thema eines Vortrags im Institut français in Bonn, auf den ich hier schon einmal hingewiesen hatte.
„Wenn irgendwo auf der Welt ein Arbeiter seine nackten Fäuste vor einem Panzer erhebt und (dabei) schreit, dass er kein Sklave ist, was sind wir denn eigentlich, wenn wir (dann) gleichgültig bleiben?“ –
In der Antwort auf diese Frage verurteilt Camus die Gewalt und erklärt sich – im Gegensatz zu weltweit bekannten französischen Intellektuellen und Presseorganen – solidarisch mit den Forderungen der Arbeiter nach Freiheit und Gerechtigkeit. Camus‘ intellektuelle Redlichkeit ist bewundernswert, er hat sie gegen viele Angriffe bis zu seinem Tode bewahrt – siehe hierzu auch Hannah Arendt in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Gerechtigkeit ist für Camus immer untrennbar mit der Freiheit des Menschen verbunden und er stellt sich als Schriftsteller nie in den Dienst einer Ideologie oder derjenigen, die Weltgeschichte machen. Er steht im Dienst der Menschen, die sie erleiden. Wenn die „Gorgone“ Weltgeschichte die Lebensgeschichte und damit das Glück der/von Menschen bedroht/zerstört, muss ein Künstler sich engagieren. Eine Kunst, die nicht solidarisch ist mit dem Leid und auch der Freude der Menschen, die sich also von der conditio humana trennt, ist nichts weiter als ein verlogener/trügerischer Luxus.
Mes amitiés personnelles et camusiennes,
Dieter Buttgereit
Das ist der politische Camus, der sehr früh, ob im Algerienkonflikt, im Verhältnis zu Deutschland oder eben bei den Aufständen hinter dem Eisernen Vorhang, keine ideologischen Scheuklappen anhatte, sondern vehement der Freiheit das Wort gab. Seine Kommentare, Einlassungen und Essays zu den Aufständen von Poznan, Berlin, Budapest und Bukarest sind Fanfaren der Demokratie. Gedankt wurde es mit einer bis heute anhaltenden Bewunderung in Osteueropa. Der Nobelpreis galt nicht nur dem Philosophen und Romancier, sonder gerade auch seinem vorbehaltloses Eintreten für die Freiheit und seine Stimme gegen die Unfreiheit, wie z.B. auch gegen die spanische Diktatur, fanden hier ihre Würdigung. Diese Anerkennung blieb ihm in letzter Konsequenz in seiner Heimat Frankreich verwehrt. Sein politisches Wirken wurde vor allem von Sartre und Teilen der französischen Linken als Verrat empfunden. Die Querelen um die Ausstellung dieses Jahr in Frankreich zeigen, daß sich diese Gegenerschaft bis heute fortsetzt. So hatte die Regierung Sarkozy die Ausstellung initiert, die Regierung Hollande hat es geschafft, dass alle Bemühungen in einem kafkaesken Disput untergehen. Camus hätte gelächelt.