Was für ein schönes Thema hat der erste Jour Fixe des Jahres der Albert Camus-Gesellschaft in Aachen! Wie sich uns die Welt verschließt – und wieder öffnet ist der Abend überschrieben und benennt damit eine Erfahrung, die ich selbst schon so viele Male gemacht habe. Wie kann es angehen, dass sich „die Welt“ zu entziehen scheint wie eine Geliebte, die sich abwendet? Und auf einmal wieder ihre Arme einladend zu öffnen scheint? Oder verdankt sich dieser Eindruck etwa nur der Spiegelung eigener Befindlichkeiten? Oder spielt beides zusammen? Ist es gar alles nur eine Frage des Klimas? Und welches wäre die rechte Haltung, diesem Phänomen zu begegnen? Fürwahr Stoff für einen anregenden Abend. Für Camus jedenfalls gab es mit den römischen Ruinenorten Tipasa und Djemila bevorzugte, geliebte Orte, an denen sich die Welt einem Vereinigungserlebnis bereitwilliger zu öffnen schien. Sebastian Ybbs, Vorsitzender der Albert Camus-Gesellschaft, hat im Vorfeld einen schönen Text aus eigenen und Camus-Versatzstücken zusammengestellt, den ich hier mit freundlicher Genehmigung gern (gekürzt) veröffentliche.
Wie sich uns die Welt verschließt – und wieder öffnet
Winter, die Menschen kommen zur Ruhe, die Sonne steht tief, schneebedeckte Hügel nehmen der Landschaft ihre Konturen, die Kinder drängt es nach draußen, weil sie es lieben, in der Weite der still-stehenden Welt herumzutollen – so sehen Wunschträume aus; die Winter, wie wir sie kennen, sind eher durch lang anhaltende trübe Tage gekennzeichnet. Wer denkt da nicht daran, dem zu entkommen?
Auf meiner Couch liegen Prospekte aus dem Reisebüro. Einmal weit weg sein! Seit Jahren habe ich keinen größeren Urlaub gemacht, doch ich sträube mich, eine Pauschalreise zu buchen, die mich zwar in eine andere Welt brächte, doch kaum etwas Unerwartbares verspräche. Ich sollte die Broschüren gleich heute noch ins Altpapier werfen und mich über ein Land informieren, das ich jenseits des Massentourismus auf eigene Faust bereisen kann. Algerien wäre ein reizvolles Ziel, leider zu gefährlich, sich dort außerhalb der Städte vorzuwagen. Wie gerne würde ich nach Tipasa reisen oder mir den Wind von Djemila um die Ohren streichen lassen. Paris, Florenz, Prag, das sind Wüsten ganz anderer Art. Warum nicht in Algier ein Pfefferminzbonbon lutschen, im Taumel aus dem Jahrhundert heraustreten, in dem wir leben. Ich würde zwischen meinem Zeigefinder und meinem Mittelfinger hindurch blinzeln, dann die Finger schließen, so tun, als wollte ich ein Foto machen, eins für die Ewigkeit.¹
Wie viele Stunden habe ich damit verbracht, den Wermut zu zertreten, die Ruinen zu streicheln und das aufreizende Gemisch aus schwirrenden Stimmen und Düften tief in mich einzuatmen! Begraben unter den Gerüchen der wilden Kräuter und dem einschläfernden Geschrill der Insekten hebe ich Herz und Augen gegen die unerträgliche Größe des gluterfüllten Himmels. Es ist nicht leicht, der zu werden, der man ist und die eigene Tiefe auszuloten.²
Man braucht viel Zeit, um nach Djemila zu gelangen. Es ist keine Stadt, wo man haltmacht, um später weiterzufahren. Djemila führt nirgendwo hin und erschließt keine Landschaft. Es ist ein Ort, den man wieder verlässt.³
Seit fünf Tagen regnete es unaufhörlich über Algier, sogar das Meer wurde nass. Aus unerschöpflichem Himmel stürzten sich endlose Fluten auf den Golf, die vor lauter Dichte zähflüssig schienen. Grau und schlaff wie ein Riesenschwamm quoll das Meer in der formlosen Bucht auf. …
Ich war dem nächtlichen Europa entflohen und dem Winter auf den Gesichtern … (4)
♦ Termin: Dienstag, 9. Januar 2018, 20 Uhr, im LOGOI, Jakobstraße 25a in Aachen. Jour Fixe mit wechselnden Themen ist jeweils am ersten Dienstag des Monats. Die Abende sind offen für alle Interessierten.