Am vergangenen Samstag feierte das Theater Saarbrücken Premiere mit Die Besessenen, Camus’ Bühnenadaption von Dostojewskis großem Roman Die Dämonen von 1873. In der Ankündigung heißt es:
„Camus destilliert in seiner Adaption die politischen und intellektuellen Bewegungen im vorrevolutionären Russland. In seinen Figuren trifft der träge Liberalismus der Elterngeneration auf die radikal revolutionären Ideen der Söhne. »Besessen« sind die Jungen, verzweifelt, haltlos. Sie lehnen sich gegen ein altes überkommenes Wertesystem auf, ohne zu wissen, was an dessen Stelle treten kann. »Soll man weiterleben oder sich vernichten?« Sinnsuche auf dem Pulverfass.”
Das angesichts von Spieldauer, Personenaufwand und Inhalt anspruchsvolle Unterfangen, das Stück auf die Bühne zu bringen, ist laut Kritik in der Saarbrücker Zeitung nicht restlos überzeugend gelungen: „Verpuffte Verschwörung” ist die Kritik an der Inszenierung von Daniela Kranz überschrieben. Die Inszenierung sei leider ziemlich mutlos geraten; es fände sich kein Versuch, Anschluss an das Hier und Jetzt zu finden. „Das ist doppelt schade, weil es andererseits auch kaum gelungen ist, einfach ,nur’ spannendes Theater mit einem Fokus auf die dramatischen menschlichen Konflikte zu bieten, die das Stück auch bereit hält”, schreibt der Rezensent (nicht ganz grammatikfest).
Wenn es denn so ist, dann ist es nicht nur doppelt sondern sogar dreifach schade, denn die Zeitlosigkeit und die Gegenwartsnähe der Romanvorlage war eben das, worauf es Camus selbst ankam. Im Programmheft zur Uraufführung schrieb er, Dostojewskis Geschöpfe seien „weder seltsam noch absurd. Sie gleichen uns, wir haben das gleiche Herz. Und Die Dämonen sind prophetisch nicht nur, weil sie unseren Nihilismus ankündigen, sondern weil sie zerrissene und tote Seelen zeigen.” Die Dämonen gehörten zu den vier oder fünf Werken, die er über alle anderen stelle, schrieb Camus. „In mehr als einer Hinsicht kann ich sagen, dass sie mich genährt und geformt haben” (1).
Allerdings waren auch schon die Kritiken zur Uraufführung von Camus’ eigener Inszenierung am 30. Januar 1959 am Théâtre Antoine in Paris sehr gemischt. Das dreieinhalb-Stunden-Stück mit 23 handelnden Personen (bei Dostojewski sind es auf rund 1000 Seiten 44 Personen) ging zwar noch auf Tournee und erlebte insgesamt mehr als 600 Vorstellungen, spielte aber dennoch seine Produktionskosten nicht ein. Das Geld für die Finanzierung des Stücks (geschätzt auf 20 bis 28 Millionen Francs, was sich aufgrund der Abwertung des französischen Francs zwischen 1957/58 und der Einführung des Nouveau Franc 1960 allerdings nur schwer umrechnen lässt) hatte Camus gemeinsam mit der Theateragentin Micheline Rozane selbst aufgetrieben. Öffentliche Förderung gab es nicht.
Vorstellungen von Die Besessenen in der Alten Feuerwache Saarbrücken sind noch am 2., 3., 5., 10., 11., 19., 21., 27. April sowie am 3., 4., 10., und 11. Mai. Infos und Kartenbestellung hier.
(1) Zit. nach Olivier Todd, Albert Camus. Ein Leben, Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg 1999, S. 783.
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Albert Camus spricht über „Die Besessenen“
Sehr geehrte Frau Reif,
In meiner Jugend begegnete ich ungefähr gleichzeitig dem Werk von Dostojewski und Albert Camus, seitdem interessiere ich mich sehr für die Bezüge zwischen diesen großen Autoren. In diesem Zusammenhang und i.e.S. mit dem Problem des Selbstmords fand ich immer die Figur des Kirillow aus den „Dämonen“ besonders wichtig, mit ihr setzt sich Camus ja auch im „Mythos von Sisyphos“ auseinander. Könnten Sie diese Gestalt einmal zum Thema in Ihrem hervorragenden Blog machen?
Vielen Dank für Ihre Initiative
Franz-Josef Nett
lieber Herr Nett,
herzlichen dank für Ihre Anregung und das freundliche Kompliment. Vielleicht ist Ihnen ja schon aufgefallen, dass ich meinen Blog sehr assoziativ betreibe. Sollte mir Kirilow dabei gewissermaßen einmal über den Weg laufen, werde ich an Sie denken und schauen, was mir zu dem Thema einfällt. Mit herzlichem Gruß, Anne-Kathrin Reif
Ich liebe sie, die wunderbare Sprache von Anne-Kathrin Reif. Ich lese gerne MEHR!
Nicole
Meine liebe Nicole,
an welcher Stelle meine kleine Theaterankündigung ein sprachliches Glanzstück sein sollte, weiß ich zwar wirklich nicht… aber dennoch: Ich bedanke mich herzlichst für das Lob und freue mich, dass du immer noch gerne dabei bist!