Zu den schönen Erfahrungen mit diesem Blog gehört es immer wieder, wenn Camus „verbindet wie ein gemeinsamer Freund“ (wie einst die Welt am Sonntag über die 365tage-camus.de titelte), wenn er echte Begegnungen stiftet, an die man noch nach Jahren anknüpfen kann, wenn Menschen mir schreiben und natürlich auch, wenn sie mir unaufgefordert Texte, Aufsätze, Bücher und mehr schicken. Viel Kenntnis und Gelehrsamkeit steckt oftmals darin, vor allem aber viel Herzblut. Und natürlich auch die Hoffnung, ich möge dies hier im Blog entsprechend würdigen. Damit verbunden allerdings ist nun die für mich weniger schöne, sich leider regelmäßig wiederholende Erfahrung: Dass ich sie nämlich sehr oft enttäuschen muss.
Als ich 2013 den Blog gestartet habe, hätte ich niemals gedacht, dass er über Jahre laufen würde. Nun ist er, wie Camus selbst, zum Lebensbegleiter geworden und soll es auch bleiben – ein Lebensbegleiter, über dessen pure Existenz ich mich freue, ohne Erwartungen und Verpflichtungen damit zu verbinden, die zur Belastung werden. Ein Frei-Raum und eine Spielwiese zur eigenen Erbauung – um so mehr und um so besser, wenn sich auch der ein oder die andere mit mir daran freut! Tatsächlich sind die Spielräume gerade unter dem ganz normalen Alltag einer Freiberuflerin (und aus einer Reihe von sonstigen Gründen) ziemlich begrenzt, was sich natürlich auch in der geringer gewordenen Taktzahl der Beiträge niederschlägt. Kurzum: Ich möchte heute allen Camus-Freunden und Blog-Lesern (und natürlich auch *innen) einmal sagen: Ich freue mich über jeden von euch, ich freue mich über jeden Kommentar im Blog und jeden, der mit, zu und über Camus arbeitet, mit ihm denkt und lebt, und ich freue mich, davon zu erfahren! Vielleicht passt ja sogar einmal gerade alles so zusammen, dass ich davon auch im Blog berichte. Sehr oft, pardon, aber eben auch nicht. Weil: Mich verpflichten, zeitnah Dinge abzuarbeiten – das gehört für mich in die Rubrik „Job“ und nicht auf meine Spielwiese.
Weil aber besonders in zwei mir zugekommenen Publikationen besonders viel Herzblut zu stecken scheint, will ich sie heute wenigstens präsentieren – entgegen meines journalistischen Anspruchs, sie dafür erst einmal gründlich gelesen haben zu müssen.
Da ist zum einen das kleine Bändchen Nr. 4 der Albert Schweitzer Reflexionen mit dem Thema Albert Schweitzer und Albert Camus – Ein gemeinsamer medizinischer Humanismus, dessen Kernstück der gleichnamige Aufsatz von Jean-Paul Sorg ist. Herausgegeben von Gottfried Schüz und flankiert von zwei Beiträgen von Klaus Stoevesandt, der in dem Arzt Dr. Roger Le Forestier eine wahrscheinliche Inspiration für den Dr. Rieux in Camus‘ Die Pest entdeckt hat (und damit das vermutliche Bindeglied zwischen Albert Schweitzer und Albert Camus), ist der Aufsatz von Sorg hier erstmals in deutscher Sprache zugänglich. Auch das Zustandekommen der Übersetzung mit Hilfe der Studierenden von Dr. Katrin Zuschlag an der Universität Mainz/Germersheim ist eine schöne (Vor-)Geschichte, die hier, möglicher Weise, irgendwann auch noch mal ausführlicher erzählt werden soll. Vorerst kann ich es nur bei diesem Hinweis belassen:
- Jean-Paul Sorg, Albert Schweitzer und Albert Camus – Ein gemeinsamer medizinischer Humanismus. Mit Beiträgen von Klaus Stoevesandt, hrsgg. von Dr. Gottfried Schüz, Albert Schweitzer Reflexionen Band 4, Stiftung Deutsches Albert Schweizer Zentrum, Frankfurt/Main 2019, 127 Seiten, brosch., 5,- Euro). Zu bestellen über info@albert-schweitzer-zentrum.de oder www.albert-schweitzer-zentrum.de (ISBN 978-3-944826-03-5).
Publikation Nr. 2 im Stapel, die ich heute wenigstens vorstellen möchte: Die Unendlichkeit geteilter Tage von Sebastian Ybbs – Künstler, Autor und vielen hier bekannt als Vorsitzender der Albert-Camus-Gesellschaft in Aachen. Als „Erzählung“ klassifiziert hat das 228 Seiten starke Buch schon eher schon Romanumfang. Sebastian Ybbs schreibt dazu selbst:
„Ich wollte wissen, was es mit der Zerrissenheit bei Albert Camus auf sich hat und stieß auf einen Menschen, der mich auf andere Weise, aber mindestens ebenso faszinierte. Theo, ein kauziger Mensch, wortkarg, unnahbar, lebte in einem Zweckbau inmitten einer recht vergessenen Gegend. Es dauerte seine Zeit, bis ich hinter seine bewegende Geschichte stieg. Auf unerlaubte Weise war ich ihm nahegekommen, doch bis heute weiß ich nicht, mit wem ich es wirklich zu tun bekommen hatte. Hätte mich vorher jemand gefragt, ob ich Bekanntschaft mit dem Typen hätte schließen wollen, ich hätte nein gesagt oder zumindest: ich glaube nicht. Sich nicht im Vorhinein festlegen.“ Die Erzählung sei als Fiktion entstanden, heißt es weiter, aber „wahre Ereignisse haben sich ihr zunehmend angenähert und sich unter sie gemischt.“ Wie sich Camus, Theo und der Autor als Ich-Erzähler in dieser Geschichte verbinden, macht mich neugierig – und auch davon will ich Ihnen und Euch dereinst, vielleicht, erzählen. Vorerst nur die Anzeige:
- Sebastian Ybbs, Die Unendlichkeit geteilter Tage. Schardt-Verlag, Oldenburg 2019, 228 Seiten, 12,80 Euro (ISBN 978-3-96152-208-8).
Ich wünsche allen Camus-Freundinnen und Blog-Lesern (und umgekehrt) ein wunderschönes Wochenende, womöglich mit gedeihlicher Lektüre, und sage wie immer mit herzlichem Gruß: à bientôt!
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Liebe zum Leben und Ehrfurcht vor dem Leben kann ich doch in einem Satz denken.
Ergänzt man einen Satz aus Schweitzers „Das Christentum und die Weltreligionen“ S. 88
Durch die Liebe zum Leben (Camus); „[d]urch die Ehrfurcht vor dem Leben werden wir in elementarer, tiefer, lebendiger Weise fromm.“ (fromm in der ursprünglichen Bedeutung)
Lieber Herr Stoevesandt, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich denke, in dem Aufsatz von Jean-Paul Sorg über den „medizinischen Humanismus“, wie er sich bei Schweitzer und in der Gestalt des Dr. Rieux aus „Die Pest“ findet, wird die Gemeinsamkeit zwischen beiden sehr schön deutlich. Camus selbst sagte auch, er habe einen „Sinn für das Heilige“. Den Begriff „fromm“ würde ich allerdings, in welcher ursprünglichen Bedeutung auch immer, dennoch nicht mit Camus in Verbindung bringen. Mit herzlichen Grüßen, Anne-Kathrin Reif
ursprüngliche Bedeutung laut etymologischem Wörterbuch:
Zur ursprünglichen Bedeutung
(so noch bei Luther; eigentlich ’nützlich‘) nimmt erst allmählich (ab 15. Jahrh.) den spezif. religiösen Inhalt an.
Hier kommt die Nähe zum Begriff der „Bereitschaft zur Hilfe“
noch deutlicher zum Ausdruck
Sehr schön auch im Gedicht „Sommerfrische“ von J. Ringelnatz
(2. Strophe:)
„Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.“
Ein echtes Gespräch, sagte Camus, wäre aus dem Ich heraustreten und an die Tür des Du zu klopfen. Das kenn ich nur zu gut, wenn ich meinem Cappuccino das Du anbiete. Oder dem Croissant. Wir wollen gemeinsam hinaus schreien, dass unser Leben sich aus Gegensätzlichem zusammen fügt, sage ich meinem Cappuccino dann gerne und fahre ihm um den cremigen Bart. Und er antwortet mir mit: „Ja, wir leben in Paradoxien. In ungleichen Tönen. Aus weichen und harten. Aus hellen und dunklen. Aus sanften und strengen. Im Gleichklang marschieren ist Augenwischerei. Nur zwischen Diät und Völlerei liegt die Kunst. Und alle Kunstarbeit versucht, auf das poetische Niveau der eigenen Träume zu kommen. Unser Reichtum ist Einbildungskraft!“ – O, das stimmt wohl… Vielleicht, liebe Anne, werden wir das einmal zu Ende debattieren. LG.
Ich bin beeindruckt, zu was für Gedankenflügen (m)ein kleiner Blogbeitrag führen kann und freue mich, dich unter meinen Blog-Lesern zu haben, lieber Detlef! „Zu Ende“ debattieren werden wir das, wie auch sonst niemand, wohl nicht können – aber gerne ein Stück weit, am besten bei einem Cappuccino. Liebe Grüße! P.S. Ist das Zitat ein Netzfund, oder hast du dazu eine Quelle?