„Die Bücherei enthielt hauptsächlich Romane, aber viele waren für Jugendliche unter fünfzehn Jahren verboten und standen gesondert. Und die rein intuitive Methode der beiden Kinder stellte keine wirkliche Auswahl dar. Doch der Zufall ist nicht das Schlechteste in Sachen Kultur, und indem sie alles durcheinander verschlangen, führten sich die beiden Gefräßigen gleichzeitig das Beste und das Schlechteste zu Gemüte, ohne sich übrigens darum zu kümmern, etwas zu behalten, und sie behielten tatsächlich auch fast nichts als ein seltsames, mächtiges Gefühl, das im Lauf der Wochen der Monate und der Jahre in ihnen ein ganzes Universum von Bildern und Erinnerungen entstehen ließ, die nicht zurückführbar waren auf die Realität, in der sie täglich lebten, aber mit Sicherheit nicht weniger präsent für diese leidenschaftlichen Kinder, die ihre Träume genauso ungestüm erlebten wir ihr Leben.„
Das Zufallszitat ist heute nur halb zufällig, denn Der erste Mensch, woraus das Zitat stammt, habe ich ausnahmsweise gezielt aus dem Regal gezogen, gewissermaßen als Geburtstagsbeitrag: Gestern vor 25 Jahren wurde Le Premier homme erstmals bei Gallimard in Frankreich veröffentlicht, nachdem das Manuskript 34 Jahre lang mehr oder weniger unter Verschluss gelegen hatte. Erst seitdem wissen wir so viel über Camus‘ Kindheit und Jugend in Algerien aus erster Hand, nirgendwo sonst in seinem Werk kommt man dem Menschen Camus so nahe (vielleicht mit Ausnahme einiger Passagen aus den Carnets). Dass aber nun ausgerechnet die zufällig aufgeschlagene Seite einen Satz über den Zufall enthält, ist natürlich wiederum ein besonders hübscher Zufall – und so ist vielleicht auch mein Zufallszitatspiel hier „nicht das Schlechteste in Sachen Kultur.“ Bleiben wir also gefräßig und leidenschaftlich wie diese beiden Kinder, von denen einer Camus war… In diesem Sinne: Allen noch einen schönen Sonntag und à bientôt!
Albert Camus, Der erste Mensch. Deutsch von Uli Aumüller, Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg 1995, S. 277