Hoppla, so lange Ruhe war hier ja im Blog noch nie… Habe ich etwa den Blogger-Blues? Bis heute wusste ich nicht, dass das offenbar ein verbreitetes Phänomen unter Bloggern aller Art ist, aber da flattert mir ein Newsletter ins Haus (wobei ja elektronische Post nicht wirklich flattert…), der beruhigend verkündet: „Wenn man regelmäßig schreibt, meldet sich einfach immer mal dieser Blues“, und der auch gleich mit Tipps „11 x gegen den Blogger-Blues“ aufwartet. Tatsächlich bezieht sich mein Blues eher auf das Rasen der Zeit ganz allgemein, das einfach in einem eklatanten Missverhältnis zu all dem steht, was man in dieser Zeit eigentlich gerne machen würde – aber den Beitrag „die Zeit rast wieder mal so“ hatten wir ja schon…
Jeden Tag gucken mich diese immer noch weiter anwachsenden Camus-Stapel an, für die schon längst kein Platz mehr im Regal ist – lauter quergelesene, angelesene, teil- und manchmal auch ganz gelesene Bücher und Zeitschriften, über die hier noch zu schreiben wäre, aber dafür müssten sie ja auch ganz ordentlich gelesen und mit Notizen versehen sein, und da sind wir wieder bei der Sache mit der Zeit… Die nun mal einfach begrenzt ist, und das sogar, wenn ich das meiste davon Camus widmen könnte, was ich aber leider nicht kann. Das in dem besagten Newsletter beschriebene Problem „Je länger die Pause umso höher der Anspruch und umso schwieriger wird es“ kommt mir allerdings durchaus bekannt vor, und die Sache mit der Disziplin auch…
Zum Glück bin ich mir sicher, dass Camus vollstes Verständnis für jede Art von Schreibpausen hätte, denn unter dem ewigen Zwiespalt, schreiben zu wollen (ja, zu müssen) und zugleich auch noch so viel anderes zu wollen, was am Schreiben hindert, diesen Zwiespalt kannte er wohl am allerbesten.
„Ich hoffe, ich werde geduldiger, wenn ich sehe, dass ich arbeite, und mir selbst beweise, dass dies die richtige, die einzige Art ist, meiner üblen Anarchie beizukommen. Aber ich zerre, ich trete um mich und schnappe, bis ich mich selbst am Nackenfell packe und vor meine Papiere setze. Gestern habe ich mich nach einem halbstündigen kleinen Spaziergang fünf Minuten lang laut beschimpft. Dann bin ich mit eingezogenem Schwanz brav wieder an die Arbeit geschlichen„, schrieb er an seine Freundin Mi, als er sich im Winter 1958 nach Lourmarin zurückgezogen hatte, um an seinem Roman Der erste Mensch zu arbeiten (1).
Sehr schön finde ich auch immer wieder Camus‘ selbstironische Antwort auf die Frage von Jean-Claude Brisville in einem späten Interview aus dem Jahr 1959:
„Haben Sie eine Lebensregel – oder improvisieren Sie, je nach den Umständen und Ihren momentanen Regungen?“ Camus: „Ich stelle mir strikte Regeln auf, um meine Natur zu korrigieren. Und schließlich folge ich meiner Natur. Das Resultat ist nicht brillant.“ (2)
Zuvor fragt Brisville ihn noch: „Hat die einfache Freude, am Leben zu sein – und die Zerstreuung, die sie mit sich bringt – Ihrer Meinung nach nichts von einer Berufung zu fürchten, einer künstlerischen zum Beispiel, und der Disziplin, die sie fordert?“ Camus‘ Antwort, so finde ich, ist mal wieder eine, die mit allen Widersprüchen versöhnt:
„Leider ja. Ich liebe die leuchtenden Tage, das freie Leben… Und deshalb ist die Disziplin hart und notwendig. Und deshalb ist es so gut, zuweilen ihr Gebot zu übertreten.“
Einmal mehr sage ich: Merci, Monsieur Camus!
Liebe Frau Reif,
da würde ich sagen: Camus steht Ihnen bei. Aber das wussten Sie ja schon.
Sich selbst Regeln aufzuerlegen und diese fast unbeobachtet zu übertreten. Sich dann zu disziplinieren, um bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Oder?
Oder ergibt vielleicht gerade das Mittel aus beidem den Moment, in dem Großes entsteht? Von außen betrachtet Stillstand, im Inneren der Sturm.
Merci sagt ein diszipliniert improvisierender Leser