Kommen wir einmal zu einem ernsten Thema und harten Kern des Denkens von Camus: Der Tatsache nämlich, dass sich der Mensch Rechenschaft zu geben hat über die Endlichkeit seiner Existenz. Eine Endlichkeit zumal, die nicht naturgemäß als Ende eines langen, reichhaltigen Lebens auf ihn wartet, sondern der er jederzeit ausgesetzt ist. Ob er 20 oder 90 Jahre alt ist, ob er nun alles erledigt hat oder nicht, ob das Ende gewünscht oder gefürchtet ist und ob sechs unversorgte Kinder zurückbleiben, all das schert das Schicksal, oder wer auch immer dafür zuständig ist, kein bisschen. Desweiteren sollten wir uns keinerlei Illusionen darüber hingeben, dass wir diesem unseren flüchtigen Dasein durch irgendetwas einen Sinn verleihen könnten, der über dieses selbst hinausreicht. Auch nicht mit einem Werk, das seinen Schöpfer überdauert. Im Gegenteil: Das wahre Kunstwerk ist das, was in eben diesem Bewusstsein geschaffen wird, dass es dazu grundsätzlich nicht in der Lage ist, führt Camus im Mythos von Sisyphos in dem Kapitel Das absurde Kunstwerk aus.
Dabei zählt das Werk von Camus natürlich ganz unzweifelhaft zu jenen, die den Tod ihres Schöpfers offensichtlich mühelos über nun schon ziemlich lange Zeit zu überdauern vermögen. Und es gehört nicht viel dazu, vorauszusagen, dass das auch noch ziemlich lange so weitergehen wird. Der Autor selbst hat davon nichts, denn es fügt seinem allzu früh abgerissenen durchliebten, durchlittenen, leidenschaftlich gelebten Leben keinen einzigen weiteren Augenblick hinzu. Und dennoch dürfte es ihn gefreut haben, denn ein ganz klein wenig hat er damit seinem Todfeind, dem Tod, doch ein Schnippchen geschlagen. Und alle, die seine Gedanken in ihrem Leben weitertragen, weiterdenken und weiterleben, haben damit insgeheim Teil an einer gemeinsamen Revolte gegen diesen frühen Tod, der einen Vielgeliebten seiner Zeit entrissen und ein großartiges Werk verstümmelt zurückgelassen hat. Doch doch, soviel Pathos darf schon sein, auch das kennen wir ja von A.C.
Der Vorrede bedurfte es, um zu verstehen, warum die E-Mail, die ich gestern nachmittag vom Rowohlt-Verlag erhielt, meiner Laune und meiner neu entdeckten Blog-Freude einen ziemlichen Dämpfer versetzt hat. Man bedauert, die etwas vorschnell erteilte Genehmigung zur Wiedergabe einzelner, kurzer, „freistehender“ Camus-Zitate (von der ich bisher kaum Gebrauch gemacht habe) wieder zurücknehmen zu müssen. Man würde die Rechte für dieses schöne Projekt (danke!) gern erteilen, allein sie lägen beim Verlag Gallimard in Paris, der damit „sehr streng“ sei. Also muss nun erstmal mit Paris korrespondiert werden. Einstweilen kann die hier geplante Rubrik des „Zitat des Tages“, das die Leserinnen und Leser mit einem nachdenkenswerten Camus-Gedanken in den Tag schicken sollte, nicht stattfinden. Das ist schade, auch weil damit das „jeden Tag“-Projekt unter Umständen zu einem „So-oft-wie-möglich“-Projekt oder gar zu einem „Ab-und-An“-Projekt schrumpfen muss. Nun, das letzte Wort dazu ist ja noch nicht gesprochen. Es hörte sich nur irgendwie verdächtig so an, als sei da ein gerade den Berg hochgestemmter Stein wieder heruntergekugelt. Aber was soll´s! Sisyphos kehrt immer wieder zu seinem Stein zurück. Ich will mir die Laune nicht nachhaltig verderben lassen. Denn was, bitte schön, hat nun wirklich jeder, der ihm schon einmal zugehört hat, von Camus gelernt? Eben. „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (1) In längere Texte eingebundene Zitate sind übrigens urheberrechtlich unbedenklich.
Für die unterstützenden Kommentare in Sachen Urheberrecht bedanke ich mich herzlich. Warten wir mal ab, wie sich die Dinge entwickeln. Einstweilen halte ich es nicht für hilfreich, das hier öffentlich in der Form zu diskutieren. Sollte wirklich eine negative Antwort kommen, was ich nicht hoffe, schalte ich die Kommentare sehr gerne wieder frei.
Liebe Anne, zuerst einmal vielen Dank für die wudnervollen Artikel. Jeden Tag komme ich so Camus und auch Dir ein wenig näher! – Mein grosses Thema ist – neben dem Thema Tanz 😉 – meine Beschäftigung mit Gott. Und gerade lese ich Ratzinger, der die Existenz Jesu aus der Geschichte erklärt. Ein ungemein spannendes Buch, denn er ist dabei nicht verklärend. Und immer wieder holt er mich weg, von dem was „man da so“ aus der Bibel liest. Sondern hilft zu lesen, was da sonst noch steht. Und auch hier wenn das Gespräch auf das Reich Gottes kommt, dann ist keineswegs ein Himmelreich, da oben fern ab gemeint, sondern ein Reich, dass jeder einzelne in sich selbst schaffen kann. Und auch nur da! Und auch nur selbst!
Gestern abend habe ich es gelesen, und heute kommt Dein Artikel. Danke Dir!
Nicole
Liebe Nicole, schön, dass dir der Blog gefällt! Die Auseinandersetzung Camus´ mit dem christlichen Glauben ist natürlich ein ganz zentrales Thema in seinem Werk. Allerdings ist auch klar: Religion und Gott kommen dabei nicht gut weg. Da werden Camus und Du wohl immer auf zwei verschiedenen Seiten stehen. Ob und wie weit dennoch eine Annäherung „zwischen euch“ möglich ist, werde ich mit Spannung verfolgen!