Paris, 21. August 2014. So, heute gilt es aber mal Strecke zu machen, sonst schaffen wir den Camus-Spaziergang bis zur Abreise nicht mehr. Deshalb gleich weiter mit der zweiten Etappe.
Das Hotel Madison, Boulevard Saint-Germain 143, sieht heute sehr schmuck aus (li.). Davor sitzt seit eh und eh Diderot auf seinem Sockel und denkt nach. ©Fotos: Anne-Kathrin Reif
Vom Montmartre geht es hinab und über die nächstgelegene Brücke hinüber auf die andere Seine-Seite, rive gauche, nach Saint-Germain. Jetzt tut das velib wirklich gute Dienste, denn vom 18. ins 6. Arrondissement ist es eine ganz schöne Strecke. Im Juni 1940 bezieht Camus ein Zimmer im Hotel Madison, Boulevard Saint-Germain Nr. 143, – heute ein schmuckes Vier-Sterne-Hotel mit Zimmerpreisen zwischen 180 und 520 Euro (pro Nacht, nicht etwa pro Woche). Zu gerne wüsste ich, was Camus bezahlt hat, aber das ist nicht überliefert. Über diese Angabe des Camus-Spaziergangs von Le Paris des gens célèbres wundere ich mich allerdings etwas. Seinem Tagebuch nach wähnte ich ihn da nämlich schon auf dem Weg nach Lyon, wo der Paris Soir mit der gesamten Belegschaft während der deutschen Besetzung Quartier bezogen hatte – zumal die deutsche Besetzung ab dem 14. Juni erfolgte. Aber das lässt sich jetzt auf die Schnelle nicht klären, da ich den allwissenden Olivier Todd hier nicht zur Hand habe (und auch sonst keine verlässliche Biografie). Anfang 1941 kehrt Camus jedenfalls erst einmal nach Algerien zurück und lebt in Oran, der Heimatstadt seiner zweiten Ehefrau Francine, die er inzwischen in Lyon geheiratet hatte. Dort schließt er im Februar die Arbeit am Mythos von Sisyphos und an Caligula ab – die „drei Absurden“ sind damit fertiggestellt. 1942 dann der Durchbruch: Der renommierte Gallimard-Verlag in Paris nimmt das Manuskript des völlig unbekannten algerischen Autors Albert Camus an und bringt im Frühjahr 1942 den Roman Der Fremde heraus. Als Camus noch im selben Jahr wieder nach Paris kommt, ist er kein Unbekannter mehr: Sein Romandebüt hat zumindest in den tonangebenden intellektuellen Kreisen bereits mächtige Wellen geschlagen.
In der Rue Saint-Benoit Nr. 6 wohnte die Schriftstellerin Marguerite Duras mit ihrem Mann, dem Résistance-Kämpfer Robert Antelme. ©Foto: Anne-Kathrin Reif
Leider vermerkt der offizielle Paris-Camus-Spaziergang nicht, wo Camus logierte, als er im Herbst 1942 wieder nach Paris kam. Vielleicht eine kleine Verwechslung, und das Hotel Madison gehört eigentlich in diesen Zeitabschnitt? Denkbar wäre es, denn jetzt taucht Camus ein ins Leben von Saint-Germain. Nach dem Étranger bringt Gallimard noch im selben Jahr den Mythos von Sisyphos heraus. Sartre, den unangefochtenen intellektuellen König von Paris, lernt er am 3. Juni 1943 bei der Premiere von dessen Theaterstück Die Fliegen im Théâtre de la Cité kennen (was natürlich auch noch eine Station des Spaziergangs hätte sein können). Stattdessen wird als nächstes die Rue Saint Benoit Nr. 5 aufgeführt – eine Station, die gewissermaßen symbolhaft für Camus‘ Engagement in der Résistance steht. Hier lebte die Schriftstellerin Marguerite Duras mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Widerstandskämpfer Robert Antelme. 1944 wurde er von den Deutschen verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Camus, so wird auf der Spaziergangs-Seite berichtet, habe vor dem Haus Schmiere gestanden, damit die von Antelme verwahrten Dossiers der Résistance in Sicherheit gebracht werden konnten.
Das Stammhaus des Gallimard-Verlags in der Rue Sebastien Bottin. ©Fotos: Anne-Kathrin Reif
Seit Ende 1943 arbeitet Camus als Lektor beim Verlag Gallimard, dem ich natürlich auch einen Besuch abstatten will. Als ich die Rue Sebastian Bottin auf der Suche nach dem Verlagshaus in der Nr. 5 entlang radele, stelle ich überrascht fest, dass ich hier zuvor schon etliche Male vorbeigekommen war, ohne dass mir das traditionsreiche Haus aufgefallen wäre – obwohl an der Hauswand die elegant geschwungenen Buchstaben nrf auf die legendäre bei Gallimard herausgegebene Literaturzeitschrift nouvelle revue française hinweisen. Ansonsten kennzeichnet nur ein dezentes blankgewienertes Messingschild den Verlagssitz.
Camus hat inzwischen ein Zimmer im Hotel Mercure in der Rue de la Chaise 22 bezogen, nicht allzu weit entfernt von seiner Arbeitsstelle. Das Hotel existiert heute nicht mehr. Aber vielleicht ist die schöne Holztür mit den geschnitzten Engelsköpfen ja noch dieselbe?
Eine Arbeitsstelle, aber immer noch ein Durchgangsleben im Hotel… Es scheint tatsächlich so, als sei Camus immer noch nicht in Paris heimisch geworden, auch wenn er sich jetzt nicht mehr im Tagebuch abfällig über die Stadt auslässt. Immerhin: Er hat Erfolg, er ist mittendrin in der Szene der Intellektuellen und Künstler, er bringt 1944 sein Stück Das Missverständnis am Théâtre des Mathurins heraus, arbeitet an Die Pest und an seinem Revolte-Essay und hat mit der Schauspielerin Maria Casarès eine weitere Lebensliebe gefunden. Keine leichte Situation, denn Ende 1944 kann Francine endlich nach Paris kommen. Fast zwei Jahre lang waren die beiden getrennt – die Landung der Alliierten in Nordafrika am 11. November 1942 hatte Camus von seiner Heimat Algerien und von seinen Angehörigen abgeschnitten.
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Die beiden wohnen vorerst im Studio von André Gide in der Rue Vanneau Nr. 1. Am 5. September 1945 werden die Zwillinge Jean und Catherine geboren, aber die Familie hat noch keine feste Bleibe und wird von unterschiedlichen Freunden beherbergt.
Blick in die Rue Séguir. In der Nr. 18 befand sich Camus‘ erste Mietwohnung in Paris. ©Fotos: akr
1946 findet Camus endlich eine Wohnung für sich und die Familie in der Rue Séguier Nr. 18, wo sie vier Jahre lang wohnen werden. 1950 – der Erfolg seines Romans Die Pest hat ihm endlich einiges an Geld eingebracht – kann er die Wohnung in der Rue Madame kaufen. Aber da waren wir ja schon längst…
Aber man kann eine Saint-Germain-Etappe natürlich nicht beenden, ohne zumindest einen Blick auf die legendären Cafés und Brasserien zu werfen, wo sich tout Paris traf, trank und debattierte. Zeit also für eine kleine Kaffeepause… à très bientôt!
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Welch schöner Beitrag! Danke!