Die Briefe von Albert Camus und Maria Casarès – was für ein Geschenk!

Hätte ich auf das Wiederauftauchen meines bei DHL verschollenen Exemplars des kürzlich erschienenen Briefwechsels von Albert Camus und Maria Casarès gewartet, könnte ich immer noch nicht mit dem dicken Wälzer und einem Kaffee im Garten sitzen. Aber da der Rowohlt-Verlag so nett war, mir ein zweites Presseexemplar zu schicken, kann ich mich jetzt endlich hineinvertiefen. Und das ziemlich wörtlich, denn schon die ersten Briefe (allesamt von Albert Camus, da die Antworten von Maria Casarès in der ersten Phase ihres Briefwechsels 1944 nicht erhalten sind) üben auf mich den Sog einer Untiefe im offenen Meer aus. Die Bedingungslosigkeit, mit der Camus sich in diese Liebe stürzt, ist atemberaubend, sein Bitten, Flehen, Fordern, Warten, Hoffen, Bangen, Leiden ist bestürzend. In der Tat: So kannten wir ihn nicht.

Das konstatieren auch so ziemlich alle Rezensenten und Rezensentinnen, die als Grundlage ihrer unverzüglich erschienenen Kritiken wohl kaum alle die kompletten 1569 Seiten gelesen haben können. Natürlich erwartet man das auch nicht, man erwartet, dass eine Rezension zeitnah zur Veröffentlichung erscheint. Zum Glück habe ich mein Leben als Tageszeitungsredakteurin hinter mir gelassen und brauche mich an solcherart Spielregeln nicht mehr zu halten.

Vielmehr werde ich überhaupt keine Rezension schreiben. Denn schon nach den ersten Seiten (aber eigentlich sogar schon vor den ersten Seiten) ist mir klar geworden: Ich finde eine klassische Rezension, zu der immer auch das Auseinandernehmen und Bewerten gehört (egal in welcher Richtung), in diesem Fall einfach unangemessen. Camus schreibe bisweilen auf eine „geradezu Bittsteller-hafte Weise“ und verwende dabei das Wort ,Liebe‘ „in geradezu inflationärer Häufung“ (Peter Hennig im Deutschlandfunk). Maria Casarès strahle in ihren Briefen „eine kämpferisch heitere Weltbejahung aus“, während Camus sich gern „in grimmige Absolutheitsansprüche an diese neue Liebschaft“ verbeiße (Josef Hanimann in der Süddeutschen Zeitung). Maria Casarès bespiele „das vorrätige Pathos-Repertoire romantischer Leidenschaft absolut perfekt, inbrünstig, humorvoll, selbstbewusst, verspielt und sehnsüchtig“. Camus probiere auf der Suche nach einer Sprache der Liebe für ihn ungewöhnliche Töne aus – heraus komme (von mir kurz zusammengefasst) eine „von sich selbst berauschte Liebesrhetorik“ und „erhabener Balzgesang“ des untreuen Ehemannes an seine „Hauptmäträsse“ (Iris Radisch in Die Zeit). Ich will nicht verschweigen, dass die geschätzten Feuilletonisten sich allesamt auch beeindruckt und bewegt äußern („Über das Ende dieser großen Liebe kann man nur weinen“, Radisch; „Ihre Aufrichtigkeit ist fabelhaft“, Hanimann; ein „mitreißendes Dokument einer der großen Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts“, ein „hymnisches, ja, überreiches Traum- und Liebesbuch“, Hennig).

Aber ich frage mich mit jeder Seite, die ich lese, mehr: Was denn, bitteschön, gibt uns das Recht, hier überhaupt irgendetwas zu bewerten, zu beurteilen? Diese Briefe sind nie für andere Augen bestimmt gewesen als die des geliebten Adressaten. Sie sind höchst intime Bekenntnisse, mit denen sich die Schreibenden schonungslos dem anderen offenbaren, in denen sie sich ungeschützt zeigen, verletzbar und buchstäblich nackt. Dass wir jetzt so viele Jahre später daran teilnehmen dürfen ist schlichtweg ein Geschenk. Sie jetzt unter die Lupe eigener moralischer oder ästhetischer Maßstäbe zu legen erscheint mir…ich weiß kein anderes Wort als dieses altmodische: unanständig.

Wie beeindruckend ist dagegen die Großherzigkeit von Catherine Camus, der wir die Veröffentlichung der Briefe verdanken, und die ihr Vorwort beschließt mit den Worten:
Danke ihnen beiden. Ihre Briefe machen die Erde größer, den Raum leuchtender, die Luft leichter, weil sie gelebt haben.“

Ihrem Dank schließe ich mich gerne an. Und füge hinzu: Danke, Catherine Camus.

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P.S. Eine Rezension wird es also von mir nicht geben. Gut möglich aber, dass ich den ein oder anderen Gedanken bei der Lektüre gerne mit meinen Blogleserinnen und -lesern teilen möchte. Wir werden sehen.

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Albert Camus – Maria Casarès. Schreib ohne Furcht und viel. Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959. Übersetzt von Claudia Steinitz, Andrea Spingler und Tobias Scheffel. Rowohlt-Verlag, Hamburg 2021, 1568 Seiten, 50 Euro. Infos und Leseprobe hier.

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Düsseldorfer Ringvorlesung (9): Hans Schelkshorn über Albert Camus und die Suche nach neuen Grenzen in entgrenzter Zeit

Die Düsseldorfer Camus-Ringvorlesung geht langsam in die Zielgerade: Mit dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. Hans Schelkshorn am kommenden Montag, 28. Juni 2021, steht der drittletzte Termin an. Wobei mir soeben auffällt, dass das Bild der „Zielgeraden“ bei einem Ring natürlich total schief ist. Das Bild des „Rings“ könnte dagegen für die Beschäftigung mit Albert Camus passender nicht sein. Nicht nur wegen der Kreisbewegung des ewigen Steinewälzers Sisyphos, sondern auch, weil man mit dem, was uns Camus zum Nachdenken hinterlassen hat, gar nicht ins „Ziel“, mithin zu einem Ende kommen kann. Man kann es aber schrittweise, Runde um Runde vertiefen, während man dabei immer wieder den selben großen Themen begegnet und sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Und dazu bietet ganz zweifellos auch der kommende Vortrag wieder einen schönen Anlass. Der Titel lautet:

„Eine Philosophie der Grenzen. Konturen der Lebensphilosophie von
Albert Camus“

Dazu schreibt der Referent:

Albert Camus‘ Philosophie steht in der Tradition des nachidealistischen Denkens nach Kant und Hegel, insbesondere der Existenz- und Lebensphilosophie, deren Grenzen fließend sind. Zugleich hält jedoch Camus gegenüber irrationalistischen Tendenzen der Lebensphilosophie am sokratischen Logos und damit an der Wahrheitsorientierung des Denkens fest. Auf dieser Grundlage bearbeitet Camus die typisch neuzeitliche Idee einer Selbstkreation in einer entgrenzten Welt, die in der Renaissance entwickelt worden ist und vor allem durch Nietzsche bis heute zum schillernden Vermächtnis für zahlreiche philosophische Strömungen geworden ist. In den philosophischen Essays über das Absurde und die Revolte entwickelt Camus komplexe Reflexionen über Entgrenzungen und die Suche nach neuen Grenzen, die jeweils auf die moralisch-politischen Herausforderungen seiner Zeit reagieren.

Zur Person:
Prof. Dr. Dr. Hans Schelkshorn ist Vorstand des Instituts für interkulturelle Religionsphilosophie der Universität Wien. Studium der Katholischen Theologie und Philosophie in Wien und Tübingen, 1989 Dr. theol; 1994 Dr. phil.; 2007 Habilitation im Fach Philosophie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Religionsphilosophie, Theorien der
Moderne, praktische Philosophie und interkulturelle Philosophie mit Schwerpunkt lateinamerikanische Philosophie. Er ist Mitbegründer von „Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren“ und derzeit Präsident der Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie.

Publikationen (Monographien):
Ethik der Befreiung. Einführung in die Philosophie Enrique Dussels (1992)
Diskurs und Befreiung. Studien zur philosophischen Ethik von Karl-Otto Apel und Enrique Dussel (1997)
Entgrenzungen. Ein europäischer Beitrag zum philosophischen Diskurs der Moderne (2009; 2. Aufl. 2016)
Publikationen (zu Albert Camus):
Gott und das Absurde: Zur Gottesfrage bei Jean-Paul Sartre und Albert
Camus
, in: Rudolf Langthaler, Wolfgang Treitler (Hrsg.): Die Gottesfrage in der europäischen Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts, Wien-Köln-Weimar 2007, S. 155-185.
Albert Camus‘ Appell an die Christen, in: Hans Schelkshorn, Friedrich Wolfram, Rudolf Langthaler (Hg.), Religion in der globalen Moderne. Philosophische Erkundungen, Wien: Vienna University Press 2014, S.193-215.
Revolte und Dialog. Albert Camus und die Diskursethik, in: Rudolf
Langthaler/Michael Hofer (Hg.), Existenzphilosophie. Anspruch und Kritik einer Denkform (Wiener Jahrbuch für Philosophie XLV), Wien 2014, S. 99-120.

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Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

Die Vorträge mit anschließendem Zoom-Gespräch finden  jeweils von 16.30 bis 18 Uhr statt. Alle Interessierten, die sich nicht über das Studierendenportal der Uni Düsseldorf anmelden können, wenden sich bitte per Mail an Oliver.Victor@uni-duesseldorf.de, um die Zugangsdaten zu erhalten. Bitte beachten Sie, das Gasthörer herzlich willkommen sind, bei der Diskussion jedoch die Studierenden Vorrang haben.

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Christian Polke bei der Düsseldorfer Ringvorlesung (8): Sisyphos oder die Geburt einer existentiellen Anthropologie

„Wie soll man sich denn Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen? Hat das nicht etwas Masochistisches? Oder meint er das ironisch?“ – So in etwa lauten einig der Fragen, die mir im Zusammenhang mit Albert Camus am häufigsten gestellt werden. Mit der auf Ewigkeit angelegten Mühe des Sisyphos, der seinen Stein wieder und wieder den Berg hinauf rollen muss, hat unsere Vorstellung von Glück doch so gar nichts gemein. Glück, das ist doch gerade die Erfüllung durch eine sinnvolle Tätigkeit – oder vielleicht auch das von jeder Anstrengung befreite, genießende Dolce-far-niente! Und wie kann überhaupt der Zusammenhang von Glück und Absurdität gedacht werden?

Aufschluss zu diesem für die „Philosophie des Absurden“ zentralen Themas verspricht der Vortrag von Christian Polke bei der Düsseldorfer Camus-Ringvorlesung am morgigen Montag, 21. Juni 2021, mit dem Titel

„‚Man sollte sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen
vorstellen
‚ – Zu einer anthropologischen Figur bei Albert Camus“

Hierzu schreibt er:

Vielleicht kein anderer Autor hat der antik-mythologischen Figur des Sisyphos im 20. Jahrhundert zu einer derartigen Renaissance verholfen, wie Albert Camus. Mitten im Zweiten Weltkrieg 1942 erschienen, legt der philosophierende Schriftsteller mit Verve Zeugnis über seine Sicht auf die menschliche Situation, die Conditio Humana, ab; und zwar nicht nur in den Wirren des Krieges. Neben Prometheus – und womöglich Adam – stellt der Sisyphos ein anthropologisches Figurativ dar. In der Auslegung und Deutung dieser mythischen Figur im Angesicht der Gegenwart werden wir der Geburt einer existentiellen Anthropologie gewahr, für die Camus steht. Deren Hauptbegriffe sind Freiheit, Solidarität, das Absurde und nicht zuletzt die Idee des Glücks. Zugespitzt gefragt: Gibt es Sinn und Glück für uns nur, weil unsere Lage letztlich absurd ist? Dieser These Camus‘ gilt es kritisch nachzugehen.

Zur Person:
Prof. Dr. Christian Polke, geb. 1980 in München, Studium der ev. Theologie in Berlin, Heidelberg und Tübingen; nach Promotion und Habilitation seit 2016 Professor für Ethik im Rahmen der Systematischen Theologie an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität; u.a. Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Religionsphilosophie (DGR) und des German Pragmatism Network. Forschungsschwerpunkte: Rechts- und Politische Ethik, Religionsphilosophie, Sozialtheorie. 2010 gewann er mit einer Arbeit zur weltanschaulichen Neutralität des Staates den „John F. Templeton Award for Theological Promise“ des Heidelberger Forschungszentrums Internationale und Interdisziplinäre Theologie.

Jüngste Veröffentlichungen:
Expressiver Theismus. Vom Sinn personaler Rede von Gott, Tübingen 2020
Josiah Royce. Pragmatist, Ethicist, Philosopher of Religion (Hg., gem. mit Chr. Seibert, Tübingen 2021).

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Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

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Camus‘ „Die Pest“ ist in Wiesbaden zurück auf der Bühne

„Die Pest“ nach Albert Camus in einer Fassung von Sebastian Sommer am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Auf dem Bild: Matze Vogel in der Solorolle. Foto: Karl und Monika Forster

Die Inzidenzzahlen der Covid-Infektionen sinken stetig, das Leben kehrt zurück, und auch die Kultur ist wieder da. Am Hessischen Staatstheater Wiesbaden (Kleines Haus) kehrt damit Camus‘ Epidemie-Roman Die Pest in einer Bearbeitung von Sebastian Sommer zurück auf die Bühne. Aber will man dieses ganze Seuchenthema und damit auch Camus‘ Roman, der während der Pandemie wieder zum Bestseller geworden war, nicht endlich hinter sich lassen? Der Wunsch wäre verständlich – aber umso mehr lohnt es sich, noch einmal ganz genau hinzuhören auf das, was Camus uns da über uns selbst vorführt. Mir scheint es, als würde gerade eine so wenig naturalistische Inszenierung wie in Wiesbaden dazu eine gute Gelegenheit sein (Inszenierung Sebastian Sommer, Bühne Fabian Wendling, Kostüme Wicke Naujoks ). Einen interessanten Einblick bietet der Trailer auf der Theaterwebseite:

https://www.staatstheater-wiesbaden.de/programm/spielplan/die-pest/7587/

Termine:
19./25. Juni, 8., 13., 14. Juli, jeweils 19.30 Uhr. Zu den Tickets hier.

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Albert Camus geht in Brasilien über einen Strand – eine Notiz zum „Welttag des Tagebuchs“

Albert Camus war kein Tagebuchschreiber im klassischen Sinne. Seine Carnets sind eine Mischung aus Notizen zu allem, woran er arbeitete, was er las, worüber er nachdachte; passagenweise ganze Textentwürfe, die sich manchmal fast eins zu eins in einem der späteren Werke wiederfinden, Aphorismenhaftes – und eher wenig Privates. An einer Stelle bedauert er sogar, vermehrt Dinge aufschreiben zu müssen, weil er befürchtete, sein Gedächtnis lasse nach. Den „privaten“ Camus lernen wir ganz sicher viel mehr im Briefwechsel mit seiner Geliebten Maria Casarès kennen, der vor kurzem bei Rowohlt in deutscher Übersetzung* erschienen ist, als in den Tagebüchern.

ABER: Heute, am 12. Juni, wird der Welttag des Tagebuchs gefeiert (in Erinnerung an Anne Frank, die an diesem Tag im Jahr 1942 in Amsterdam von ihrem Vater ein Notizbuch geschenkt bekam, und die uns das wohl bis heute berühmteste und berührendste Tagebuch überhaupt hinterlassen hat). Und weil wir hier im Blog gerade so viel über Camus sprechen, aber ihn wenig selbst zu Wort kommen lassen, nehme ich das zum Anlass, einfach mal einen Tagebuchband von Camus aufzuschlagen. Zwischen den vielen Arbeitsnotizen gibt es immer wieder Stellen, in denen Camus plötzlich ganz lebendig wird, nah und greifbar.

Ich habe immer das Meer an den Stränden geliebt. Und dann hat der Kramladen an den menschenleeren Stränden meiner Jugend zu blühen begonnen. Jetzt liebe ich nur noch die Mitte der Meere, dort, wo das Vorhandensein von Ufern unwahrscheinlich erscheint. Aber eines Tages, an den Stränden Brasiliens, habe ich von neuem erkannt, dass es für mich keine größere Freude gibt, als über einen unberührten Sand zu gehen, auf der Suche nach einem tönenden, vom Zischen der Wogen erfüllten Licht.“ **

Ich wünsche allen Blogleserinnen und Camus-Freunden noch ein schönes Wochenende! Gibt es unter euch eigentlich Tagebuchschreiberinnen oder Tagebuchschreiber?

***

**Albert Camus, Tagebücher 1951-1959. Deutsche Übersetzung von Guido G. Meister. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 65f. Eintrag ca. 1952.
* Albert Camus – Maria Casarès. Schreib ohne Furcht und viel. Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959,
übersetzt von Claudia Steinitz, Andrea Spingler, Tobias Scheffel. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021.

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Düsseldorfer Ringvorlesung (7): Svantje Guinebert erklärt, warum die Poesie bei Camus revolutionär ist

Eine ganze Reihe interessanter Aspekte hat die Camus-Ringvorlesung an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität schon beleuchtet – und immer wieder geht es um die Frage, die als Titel über der gesamten Reihe steht: „Albert Camus – ein Philosoph wider Willen?“ War er also ein Philosoph, wollte er überhaupt einer sein? Unstrittig ist, dass Camus seine philosophischen Gedanken in verschiedenen „Disziplinen“ ausgedrückt hat, nämlich im philosophischen Essay, im Roman und im Drama. Am kommenden Montag, 14. Juni 2021, bietet sich die schöne Gelegenheit, mehr über die Verflechtung des zentralen Themas „Solidarität und Revolte“ im Essay und im Drama bzw. zwei Dramen bei Camus zu erfahren. Unter dem Titel

‚Poesie ist revolutionär‘ – Albert Camus‘ Reflexion von Solidarität und Revolte im philosphischen Essay und im Drama

nimmt Dr. Svantje Guinebert nämlich genau dies in den Blick. Dazu schreibt sie:

„Poesie ist revolutionär“ – wenn sie eine Revolte versinnbildlicht, die auf der
Solidarität der Menschen gründet. In diesem Vortrag sollen einige Überlegungen zu Camus‘ Reflexionen über Solidarität und Revolte vorgestellt werden, um darüber der Frage nachzugehen, inwiefern es ihm gelingt, durch verschiedene Formen der Verschriftlichung Gedanken aus unterschiedlichen Perspektiven zu begreifen und zu vermitteln. Mit Blick auf Der Mensch in der Revolte und die Dramen Die Gerechten sowie Die Besessenen werden einige Hinweise darauf ausgearbeitet, wie mit Camus Revolte und Solidarität zu verstehen sind. Dabei wird untersucht, inwiefern diese Aspekte philosophisch, literarisch und dramaturgisch aufbereitet sind. Was kann das Drama, was das philosophische Essay nicht kann? An welchen Stellen wird dagegen eine philosophische Arbeitsweise deutlich – vielleicht sogar in gewissem Sinne für Camus notwendig? Eine Zusammenführung dieser Überlegungen wird schließlich erkennen lassen, dass Camus – gerade indem er sich einer eindeutigen Zuordnung versperrt – eine Perspektive einnimmt, die ihm besondere Möglichkeiten eröffnet: Zwischen allen Stühlen ist es wahrlich nicht immer gemütlich, aber erst als eine liminale Gestalt, d.h. als jemand, der auf der Grenze zwischen verschiedenen Disziplinzuordnungen und Welten steht, kann Camus das ausdrücken, worum es ihm geht.

Zur Person:
Dr. Svantje Guinebert war von 2012 bis 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Bremen tätig, wo sie 2017 mit einer Dissertation über Die Selbstzuschreibung letztinstanzlicher Autorität promoviert wurde. Diese Arbeit erschien 2018 bei mentis unter dem Titel Hörigkeit als Selbstboykott. Eine philosophische Studie zu Autorität, Selbstkonstitution und Autonomie. Seit April 2021 ist sie Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Philosophie der Universität Leipzig. Zudem war sie Projektleiterin des vielbeachteten Projekts Die Universität Bremen liest Albert Camus: Die Pest, das im Rahmen der Initiative „Eine Uni – Ein Buch“ organisiert wurde (mehr dazu hier im Blog: Solidarität neu befragen – eine ganze Uni liest „Die Pest“). Ihre Forschungsinteressen liegen in der Existenzphilosophie, der Moralbegründung, der Philosophie des Humors und der Philosophiedidaktik.

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Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

Die Vorträge mit anschließendem Zoom-Gespräch finden jeweils von 16.30 bis 18 Uhr statt. Alle Interessierten, die sich nicht über das Studierendenportal der Uni Düsseldorf anmelden können, wenden sich bitte per Mail an Oliver.Victor@uni-duesseldorf.de, um die Zugangsdaten zu erhalten. Bitte beachten Sie, das Gasthörer herzlich willkommen sind, bei der Diskussion jedoch die Studierenden Vorrang haben.

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Düsseldorfer Ringvorlesung (6): 70 Jahre „Der Mensch in der Revolte“ – unter die Lupe genommen von Lou Marin

Ein Kaffee mit Lou Marin: Der Übersetzer von Camus‘ Combat-Texten an einem sonnigen Januarmorgen 2015 an seinem Wohnort Marseille. ©Foto: Anne-Kathrin Reif

Von den Jugendschriften Camus‘ die Oliver Victor in der vergangenen Woche kompetent gewürdigt hat, springen wir am kommenden Montag mit einem großen Satz über das Absurde hinweg mitten in die Revolte: Lou Marin, einer der wichtigsten Camus-Kenner der „Revolte“ überhaupt, spricht über

 „70 Jahre Der Mensch in der Revolte von Albert Camus. Kontroversen und Verteidigungen direkt nach Erscheinen 1951/52″

Lou Marin schreibt dazu:


Das vor 70 Jahren erschienene Hauptwerk von Albert Camus, Der Mensch in der Revolte, basiert auf einer ahistorischen Wertsetzung am Ursprung der Revolte und der fortlaufenden Treue (fidélité) zu diesem Wert. Das Ideal der reinen Verweigerung, das „Nein!“, darf nicht durch das Überschreiten einer Grenze auf dem Weg von der Revolte zur Revolution, nämlich die Reproduktion der Gewalt der Herrschenden und mit ihnen Kollaborierenden, gegen die sich die Revolte ursprünglich richtete, verraten (trahision) werden. Diese Grundthese implizierte am Ende des Buches eine Positionierung Camus‘ auf der bakunistisch-anarchistischen Seite der histoirschen I. Internationale und gegen Marx.
Sie rief unmittelbar, noch 1951 in der Literaturzeitschrift Arts, die Verurteilung durch André Breton und die Surrealisten hervor, 1952 die Verdammung durch Francis Jeanson, Jean-Paul Sartre und die Marxist*innen in Les Temps modernes. Im Vortrag werden beide Angriffe sowie die Verteidigungen Camus‘ unter Rückgriff auf die libertäre Strömung eines Dritten Wegs dargestellt – unter den manichäischen Bedingungen des Kalten Krieges. Camus kritisierte einen grenzenlosen Nihilismus an Breton sowie eine an keinen ahistorischen Wert gebundene marxistische Geschichtsphilosophie bei Sartre. Gegen die zeitgenössische Unterstellung der marxistischen Linken, Camus vertrete eine solitäre, wirkungslose, isolierte („Luft!“) Position wird die Solidarität mehrerer anarchistischer und syndikalistischer Strömungen durch die Positionen von Georges Fontenis, Gaston Leval, Maurice Joyeux, André Prudhommeaux, Rirette Maîtrejean, Simone Weil, Heiner Koechlin und Yves Dechezelles dokumentiert.

Zur Person:
Lou Marin, hat vielfach über Albert Camus veröffentlicht. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf dem Werkabschnitt der Revolte und den Verbindungen Camus‘ zu anarcho-syndikalistischen Kreisen. 2008 hat er Camus‘ Libertäre Schriften erstmals im französischen Original und 2013 von ihm selbst übersetzt auf deutsch herausgebracht. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen nicht nur über Albert Camus sondern auch über Mahatma Gandhi, Martin Buber und vieles mehr. Lou Marin, geboren 1961, lebt seit 2001 als Journalist, Autor und Übersetzer in Marseille und ist dort Mitglied im „Centre International de Recherches sur l’anarchisme; Internationales anarchistisches Forschungszentrum“ und seit 2013 in der Gruppe „Cercle libertaire et non-violente de Marseille“. 

Lou Marin ist seit 1979 aktiv in gewaltfreien Aktionsgruppen im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung bis hin zu Castor-Blockaden, Friedensbewegung der 1980er-Jahre, Netzwerk antirassistischer Notruftelefone sowie Männergruppen gegen Männergewalt in den 1990er-Jahren. Von 1984-2001 war er Mitglied verschiedener Haupt- und Regionalredaktionen der Monatszeitung Graswurzelrevolution (für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft; seit 1972), und ist heute weiterhin regelmäßiger Autor und Mitglied des Herausgeber*innenkreises der Graswurzelrevolution.

Zu seinen zahlreichen Publikationen und Übersetzungen gehören u.a.: 

  • Lou Marin (Hg.): Albert Camus – Libertäre Schriften (1948-1960), Übersetzung aus dem Französischen von Lou Marin, Laika Verlag, Hamburg 2013, 24,90 Euro.
  • Jacqueline Lévi-Valensi (Hg.): Albert Camus – Journalist in der Résistance. Leitartikel und Artikel in der Untergrund- und Tageszeitung Combat von 1944 bis 1947, zwei Bände (übersetzt von Lou Marin), Laika Verlag, Hamburg 2014, je Band 24,90 Euro.
  • Camus gegen Sartre. Gewaltkritischer Anarchismus gegen marxistischen Linksradikalismus als prägende Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts, in: Philippe Kellermann (Hg.): Begegnungen feindlicher Brüder. Anarchismus & Marxismus, Band 2, Unrast 2012, S. 62-80.
  • Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016. 
  • Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 1998 (überarbeitete Neuauflage in Vorbereitung)

    In Französisch:
  • * Camus et sa critique libertaire de la violence, Éditions Indigène, Montpellier 2010.

Ich habe Lou Marin mehrfach als einen fesselnden Redner kennengelernt, der frei vortragend aus einem immensen Wissenschatz schöpfen kann und freue mich auf seinen Vortrag! Zu unserer Begegnung 2015 in Marseille geht es hier:
„Freiheit um der Freiheit willen“ – Eine Begegnung mit Lou Marin
Vor einem Jahr habe ich hier im Blog einen lesenswerten Gastbeitrag von Lou Marin veröffentlicht:
Albert Camus‘ Kampf gegen die „braune Pest“ – Ein Gastbeitrag von Lou Marin
2017 habe ich ihn anlässlich eines Vortrages in Wuppertal zu Rirette Maîtrejean befragt:
Eine „femme revoltée“: Lou Marin über Rirette Maîtrejean

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Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

Die Vorträge mit anschließendem Zoom-Gespräch finden jeweils von 16.30 bis 18 Uhr statt. Alle Interessierten, die sich nicht über das Studierendenportal der Uni Düsseldorf anmelden können, wenden sich bitte per Mail an Oliver.Victor@uni-duesseldorf.de, um die Zugangsdaten zu erhalten. Bitte beachten Sie, das Gasthörer herzlich willkommen sind, bei der Diskussion jedoch die Studierenden Vorrang haben.


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Düsseldorfer Ringvorlesung (5): Oliver Victor nimmt Albert Camus‘ Jugendschriften unter die Lupe

Nach der Pause am vergangenen Pfingstmontag geht es am kommenden Montag, 31. Mai 2021 weiter mit der Düsseldorfer Camus-Ringvorlesung – und das wird spannend. Wer die Vorlesung bislang verfolgt hat, der kennt Oliver Victor bereits als Mitorganisator der Reihe und als kenntnisreichen Moderator der anschließenden Gespräche. Für seinen Vortrag hat er sich ein Thema vorgenommen, das in der Camus-Forschung keine besonders große Aufmerksamkeit genießt, obwohl dort ohne Zweifel schon manche Quelle der späteren philosophischen Entwicklung Albert Camus‘ verborgen liegt: nämlich seine so genannten „Jugendschriften“, mithin die Schriften aus seiner Studienzeit. Titel seines Vortrags ist:

„Zwischen Neuplatonismus und Nietzsche: Camus‘ Jugendschriften“

Dazu schreibt er: Camus‘ berühmte philosophische Essays wie Der Mythos des Sisyphos oder Der Mensch in der Revolte wurden ebenso umfassend rezipiert wie seine literarischen Texte. Weniger bekannt sind indes Schriften aus seiner Studienzeit, die zum einen noch vor den ersten literarischen Essays aus Licht und Schatten verfasst wurden und zum anderen außerhalb der drei großen Werkzyklen des Absurden, der Revolte und der Liebe einzuordnen sind. Dies lässt sie allein aus werkgeschichtlicher Perspektive äußerst interessant erscheinen, zumal sich zeigt, dass in ihnen zentrale Topoi seines späteren Ouvres bereits grundgelegt sind. Vermittels einer Analyse der Écrits de jeunesse (1932-1934) und unter Rekurs auf spätere Texte lässt sich herauskristallisieren, wie sich Camus‘ Werk Stück für Stück konstituiert und transformiert. Zu guter Letzt rücken jene Jugendschriften einmal mehr den Philosophen Camus in den Fokus, dessen detailreiche Nietzsche-Rezeption, Begeisterung für bestimmte Motive neuplatonischer Philosophie und Reflexionen über die Rolle der Kunst dort eindrucksvoll zum Vorschein kommen.
Ausgehend von einer Untersuchung von Form und Inhalt der Jugendschriften möchte der Vortrag die Bedeutung jener Texte insbesondere unter werkgenetischen Gesichtspunkten hervorheben und aufzeigen, dass eine Studie zur Genese des Camusschen Werks um diese Schriften keineswegs herumkommt.

Zur Person:
Dr. Oliver Victor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. Er promovierte mit einer Arbeit zu Kierkegaard und Nietzsche. Initialfiguren und Hauptmotive der Existenzphilosophie (Berlin: de Gruyter, 2021). Seine Forschungs- und Interessensgebiete liegen insbesondere in der Existenzphilosophie und im französischen Existenzialismus, der Geschichte der Philosophie mit besonderem Schwerpunkt auf der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts, der Anthropologie und der Philosophie des Alter(n)s.

Publikationen von Oliver Victor zur Vortragsthematik:

  • „Ich verdanke Nietzsche einen Teil dessen, was ich bin.“ Zur Nietzsche-Rezeption von Albert Camus, in: Geschichte und Gegenwart der Existenzphilosophie, hrsg. v. D. Sölch, O. Victor, Basel: Schwabe, 2021, S. 227-262.
  • Existenzialismus und Alter(n)sreflexion. Zur Anthropologie Albert Camus, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 42/2 (2017), S. 209-234 (mit Christoph Kann).

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Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

Die Vorträge mit anschließendem Zoom-Gespräch finden jeweils von 16.30 bis 18 Uhr statt. Alle Interessierten, die sich nicht über das Studierendenportal der Uni Düsseldorf anmelden können, wenden sich bitte per Mail an Oliver.Victor@uni-duesseldorf.de, um die Zugangsdaten zu erhalten. Bitte beachten Sie, das Gasthörer herzlich willkommen sind, bei der Diskussion jedoch die Studierenden Vorrang haben.

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Rebellen im Geiste: Albert Camus, Bob Dylan und Dylan Thomas. Bob Dylan zum 80sten Geburtstag.

Bob Dylan und Albert Camus, wie der Maler Oliver Jordan sie sieht. In dem Fall beide mit Zigarette – nicht das einzige, was die beiden verbindet. @Oliver Jordan

Im Anschluss an einen der vergangenen Vorträge bei der Camus-Ringvorlesung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf fragte eine Studentin (vermutlich der Anglistik) nach einer möglichen Verbindung zwischen Albert Camus und Dylan Thomas. Ob man wisse, ob Camus sein Werk gekannt habe? Gäbe es da nicht Gemeinsamkeiten zum Beispiel in der Haltung der Revolte? – Die Frage blieb unbeantwortet, aber ich musste gerade an sie denken, weil heute allenthalben ein anderer Dylan gewürdigt wird, der aber wiederum, wie es heißt, seinen Namen just aus Verehrung für Dylan Thomas gewählt hat: Bob Dylan, geboren am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmermann in Minnesota/USA und einer der besten Songwriter aller Zeiten, feiert heute seinen 80. Geburtstag.

Ich weiß nicht, ob die fragende Studentin hier mitliest oder vielleicht noch zufällig bei Recherchen zu Dylan Thomas auf den Blog stößt, aber wäre ihre Frage an mich gegangen, ich würde sie so beantworten:

Dass Camus das Werk des um ein Jahr jüngeren, 1914 im walisischen Swansea geborenen Dichters kannte, ist zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Thomas‘ erste Gedichtsammlung 18 Poems erschien bereits 1934 in London, und er war bis zu seinem frühen Tod als Schriftsteller sehr erfolgreich. Seine größte Ausstrahlung zu Lebzeiten dürfte allerdings weniger im französischsprachigen als im englischsprachigen Raum gelegen haben – auch aufgrund von vier großen Lesereisen, die ihn in den USA sehr populär machten. Die Kreise von Dylan Thomas und Albert Camus dürften sich wohl kaum überschnitten haben; Thomas verbrachte sein Leben in dem südwalisischen Fischerdorf Laugharne, wo er auch beigesetzt wurde; er starb 1953 in New York an einer aufgrund seiner anhaltenden Alkoholexzesse nie auskurierten Lungenentzündung. Ob Camus diese betrübliche Nachricht nun zur Kenntnis genommen hat oder nicht, ob er das heute zweifellos berühmteste Gedicht von Dylan Thomas nun kannte oder nicht – eben jenes Gedicht macht die beiden in meinen Augen zu verwandten Seelen – und Bob Dylan können wir getrost noch als dritten in den Bund mit aufnehmen. Wer wie Dylan Thomas dichtet

Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light

der ruft auf zur Revolte gegen den Tod, für den ist, wie für Camus unser ganzes Reich von dieser Welt. Der feiert das Licht und das Leben wie Camus, als er schrieb „man kann sein Leben nicht verfehlen, wenn man es ins Licht stellt.“ Kannte Dylan Thomas Camus‘ Essay Der Mythos von Sisyphos? Vermutlich nicht, denn die englische Übersetzung erschien erst nach seinem Tod 1955. Aber Camus‘ Interpretation des Sisyphos als Rebell gegen die Götter, der den Tod überlistet und in Ketten legen lässt, der aus dem Hades entwischt und noch viele Jahre lebt – am leuchtenden Meer, auf der lächelnden Erde – die hätte ihm ganz ohne Zweifel gefallen.

Nur das zählt: Leib und Seele. Der Leib hat seine eigene Seele. Es ist Körper und Pulsschlag, was Camus und Dylan verbindet. Es ist das Existentielle, was sie vor allem Establishment und dessen Negationen schützt (…)“ – das sagt der Kölner Philosoph Theo Roos und hätte dabei wohl auch Camus und Dylan Thomas meinen können, sprach allerdings über Camus und Bob Dylan. Das Interview mit ihm, das sich zu einem veritablen, überaus kenntnisreichen Referat über die Verbindung zwischen den beiden auswuchs, führte ich mit ihm anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan 2016. Kennengelernt haben wir uns anlässlich der großen Ausstellung von Oliver Jordan zu Albert Camus 2014 im LVR-Museum Bonn. Den (mit zahlreichen weiterführenden Links zu Bob Dylan versehenen) Beitrag Albert Camus und Bob Dylan erhalten den Literaturnobelpreis möchte ich hiermit allen Albert-Camus-Bob-Dylan-Thomas-Freunden aus Anlass seines heutigen 80sten Geburtstages nochmal ans Herz legen.

Allen Dylan-Camus-Dylan verwandten Rebellen im Geiste empfehle ich die vollständige Lektüre von Do not go gentle into that good night. Den anderen, die das Licht eher auf der anderen Seite sehen, wünsche ich Frohe Pfingsten.

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„Schreib ohne Furcht und viel“ – aber versende nicht mit DHL

Ich hatte mich so auf das Paket vom Rowohlt-Verlag mit der druckfrischen deutschen Ausgabe des Briefwechsels von Albert Camus und Maria Casarès gefreut… Schon vor einer Woche wollte ich hier davon berichten, allein: Das Paket ist verschollen. Der bei DHL gestellte Nachforschungsantrag bedürfe einer Bearbeitungszeit von zwei bis sechs Wochen, ich möge mich bitte „ein klein wenig“ gedulden, teilt man mir nach acht Tagen auf Nachfrage mit.

Wobei schon die Nachfrage nicht ganz einfach war, denn zuerst versteht der Bot, bei dem man telefonisch landet, bevor man einen lebenden Menschen an die Strippe kriegt und nachdem man bis an die äußersten Grenzen der Geduld in der dudelnden Leitung gehangen hat, die mitgeteilte Sendungsnummer nicht. Ich trickse ihn mit einem „die Sendungsnummer ist mir nicht bekannt“ aus, aber mein Triumph ist nur von kurzer Dauer, denn beim nächsten Schritt versteht er auf die Frage „handelt es sich um eine Lieferung innerhalb Deutschlands“ das schlichte, klar und deutlich gesprochene Ja nicht. Irgendwann aber gab es dann doch noch Lebendkontakt mit einer durchaus bemühten Person. Die mir nach einiger Nachforschung mitteilt, dass das Paket nie in der auf dem Zustellungszettel angegebenen Packstation angekommen sei. Das wiederum wusste ich schon, denn bei eben dieser Packstation erhielt ich mit meiner Sendungsnummer die Auskunft, es läge keine Sendung für mich vor. Warum könne sie auch nicht sagen, so die freundliche Person weiter. Vermutlich sei die Station voll oder defekt gewesen. – Ich versuche mal kurz, den Vorgang zu rekonstruieren: Paketzusteller*in trifft mich nicht zuhause an. Er oder sie wählt statt einen der drei im nahen Umkreis liegenden, von echten Menschen betriebenen Paketshops eine weiter entfernt liegende Packstation aus, ohne zu wissen, ob da noch Platz ist oder ob sie überhaupt funktioniert. Fährt mit meinem Paket dorthin, um festzustellen, dass kein Platz ist oder sie nicht funktioniert. Legt das Paket wieder in den Wagen. Der nächste Schritt verläuft im Dunkeln…

Tatsächlich habe ich jetzt sogar noch einige Zwischenschritte beim Versuch der Kontaktaufnahme und Nachforschung ausgespart, ich wollte Eure Geduld nicht weiter strapazieren. Ich bin im Prinzip ein eher geduldiger Mensch, habe mich aber doch ein ganz klein wenig aufgeregt.

Da kann man wohl nur froh sein, dass es zu Camus‘ Zeit noch kein DHL gegeben hat. Man stelle sich nur mal vor, Albert hätte auf diesem Weg ein Manuskript an Gallimard schicken wollen – Die Pest wäre vielleicht nie erschienen.

Premierenlesung am 18. Mai per Stream aus Freiburg

Ein kleiner Trost ist die Tatsache, dass wir uns schon am morgigen Dienstag, 18. Mai 2021, erstmals aus dem unter dem Titel Schreib ohne Furcht und viel. Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959 aus dem am selben Tag bei Rowohlt veröffentlichten Briefwechsel vorlesen lassen können. Möglich macht es die Lesereihe Freiburger Andruck, welche Lesung und Gespräch mit dem Übersetzer Tobias Scheffel als Livestream im Netz überträgt. Der umfangreiche Briefwechsel von Albert Camus und Maria Casarès aus den Jahren 1944-1959 wurde erstmals 2017 in Frankreich bei Gallimard veröffentlicht. Der Rowohlt Verlag veröffentlicht die deutsche Übersetzung von Claudia Steinitz, Andrea Spingler und Tobias Scheffel.

Der Freiburger Übersetzer Tobias Scheffel stellt den Briefwechsel im Gespräch mit dem Chefdramaturgen des Theater Freiburg Rüdiger Bering vor. Gemeinsam mit der Schauspielerin Anja Schweitzer liest er ausgewählte Briefe.

Termin:
Dienstag, 18. Mai 2021, 19.30 Uhr. Die Veranstaltung findet als Livestream aus dem Literaturhaus auf der Seite www.infreiburgzuhause.de statt. Der Stream ist kostenlos, eine Spende ist erwünscht. Weitere Informationen: www.freiburg.de/freiburgerandruck

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