Zum Älterwerden gehört ja (unter anderem), dass das Bewusstsein für die Begrenztheit der Lebenszeit zunimmt. Jetzt mal abgesehen davon, dass wir ohnehin nie wissen, wie viel wir davon haben werden, und deshalb sowieso jeder Tag kostbar ist. Immer öfter ertappe ich mich dabei, mich zu fragen: Wie viel von dem, was ich so gerne sehen würde von dieser Welt, werde ich tatsächlich noch sehen können? Welche Länder bereisen, welche Städte erlaufen, welche Lieblingsorte wiedersehen und welche noch neu entdecken können? Die Gewissheit, dass am Ende noch sehr viele übrig sein werden, macht mich ein wenig melancholisch. Andererseits rückt der Gedanke, dass es immer mehr wunderbare Orte in dieser Welt geben wird als man in einem Menschenleben erreisen kann, die Dinge auch wieder zurecht.
Auf Ibiza, Mallorca und überhaupt den Balearen war ich zum Beispiel noch nie. Würde ich aber gerne. Ich bin deshalb eigentlich geneigt, mir das Thema „Camus und die Balearen“ aufzusparen, bis ich selbst einmal dort sein werde. Aber jetzt hat mir Blog-Leser Dieter Fränzel einen Camus-Fund aus dem Reiseführer und diese wunderbaren Bilder geschickt und damit für so einen schönen Kurzurlaub im Kopf gesorgt, dass ich das nicht für mich allein behalten will. „Noch völlig berauscht von der Sonne, den wechselnden Farben des Meeres, dem Sternenhimmel, den Gerüchen und Geräuschen der Natur …“, schreibt Dieter Fränzel… – ja, das klingt schon sehr nach Camus. „Im Dumont Reiseführer anders Reisen – IBIZA FORMENTERA fand ich einen schönen Text von Camus (aus: Ziel eines Lebens), den Du in der Anlage findest. Die letzten Zeilen beschreiben eine Stimmung, die ich in Momenten auf der Insel ähnlich empfunden habe“, schreibt er weiter.
Was für ein wunderschöner Text, mal wieder. Ich war sicher, ihn schon zuvor gelesen zu haben, aber ich war mir auch sicher, dass es einen Text von Camus mit dem Titel Ziel eines Lebens nicht gibt. Da der Dumont-Reiseführer, aus dem die Seite stammt, auf Ibiza geblieben ist, können wir leider nicht nachschauen, welche Quelle dort angegeben wird. Wäre doch mal interessant. Jedenfalls stammt er natürlich aus Camus‘ früher Essaysammlung Licht und Schatten und ist ein Auszug aus dem Essay Liebe zum Leben, in dem Camus die Eindrücke seiner Reise auf die Balearen beschreibt, die er 1935 als 21-Jähriger unternommen hat (1). Für mich ist Liebe zum Leben immer noch einer seiner schönsten Texte überhaupt – so schönheitstrunken, weltverliebt, schmerzumarmend, dass man sie in jeder Zeile spürt, diese Liebe zum Leben, und von so glühender Leidenschaft, dass sie über alle Zeit hinweg die Glut im eigenen Herzen neu zu schüren vermag.
Ich muss doch demnächst mal selbst eine Balearen-Reise unternehmen.
(1) Liebe zum Leben, in: Literarische Essays, Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959, S. 68f. (Deutsch von Guido G. Meister). ©Fotos: Dieter Fränzel