An diesem Wochenende wird in Marseille und Aix-en-Provence die Eröffnung der Europäischen Kulturhauptstadt 2013 Marseille-Provence gefeiert. Ähnlich wie bei „Ruhr 2010“ bei uns vor drei Jahren umfasst die Kulturhauptstadt eine ganze Region – zwischen Marseille und dem rund 90 Kilometer entfernten Arles. Das Programm des Kulturhauptstadtjahres weist rund 400 Projekte aller künstlerischen Disziplinen auf. Ein (kleiner) Teil davon betrifft auch Camus, denn natürlich ist den Programm-Machern nicht entgangen, dass der 100. Geburtstag von Camus passender Weise in das Kulturhauptstadtjahr fällt, und dass Lourmarin, Camus´ Wohnort der letzten Jahre, quasi mittendrin liegt. Und wer würde besser zu den Themensträngen „Méditerranée“ und „Le partage du Midi“ passen, bei denen es um die gemeinsame Vergangenheit des Mittelmeerraumes geht?
Da verblüfft es schon, dass die Einbindung von Camus in die Kulturhauptstadt-Aktivitäten offenbar alles andere als rund gelaufen ist. Schon im Mai sollte eigentlich die Ausstellung „Albert Camus, l’étranger qui nous ressemble“ in Aix-en-Provence eröffnet werden; sie wurde inzwischen annulliert, nachdem Catherine Camus, Tochter und Rechte-Verwalterin ihres Vaters, sich aus dem Projekt zurückgezogen hatte. Es scheint, als hätte die Ausstellung Camus in die Nähe einer gewissen kolonialen Nostalgie gerückt, die im Widerspruch zu seiner libertären und anti-kolonialistischen Haltung gestanden hätte. Inzwischen ist die Camus-Ausstellung auf November verschoben worden und trägt nun den Titel „Albert Camus. L`Homme révolté“. Konzipiert wird sie von dem populären Philosophen und Publizisten Michel Onfray, der 2012 das dicke Buch L`Ordre libertaire – La vie philosophique d´Albert Camus vorgelegt hat. Die Zeitungen L´Express und Le Figaro haben schon vor längerem über die Querelen berichtet.
Auf den Streit um die Camus-Ausstellung ist Ulrich Fuchs, Vize-Intendant der Kulturhauptstadt, vor einigen Tagen in einem Interview in Die Welt eingegangen. Seiner Einschätzung nach wirkt dabei der alte Streit zwischen Camus- und Sartre-Anhängern nach, wobei letzteren Camus´ Haltung gegenüber der Kolonialmacht Frankreich in der Algerienfrage nicht kritisch genug war. Fuchs merkt allerdings völlig zu Recht an, Camus habe die französische Politik durchaus sehr kritisch beleuchtet und sowohl die Gewalt und den Terror der französischen Besatzungsarmee als auch den Gegenterror der Befreiungsfront thematisiert. Viele der „Pieds Noirs“, also der zur Kolonialzeit in Algerien geborenen Franzosen, von denen heute viele in Südfrankreich leben, sympathisierten heute mit der stark rechts stehenden Front National, sagt Fuchs. Er sieht darin eine Art Vertriebenen-Mentalität, die an die Debatten mit den Vertriebenen-Verbänden in Deutschland in den Sechziger- und Siebzigerjahren erinnert. Das Interview gibt einen interessanten Einblick in die Schwierigkeiten Frankreichs mit der Aufarbeitung dieses Kapitels ihrer Geschichte.
Nachtrag vom März 2013: Inzwischen ist die große Camus-Ausstellung im Rahmen der Kulturhauptstadt 2013 komplett annulliert worden.
Hallo, also mich interessieren nur die Veranstaltungen, die anlässlich des 100. Geburtstages von Camus geboten sind. Ich habe eigentlich erwartet, dass zwei bis drei Algerien-Reisen „Auf den Spuren von Camus“ angeboten werden und mehrere Ausstellungen mit Originaldokumenten (in meiner Jugend hatte ich eine Schallplatte, auf der Camus selbst aus dem Fremden las, auch das muss es noch geben) Leider nein. Nun ist sogar die Ausstellung in Marseille gestrichen, Ersatz nicht gesichert. All das ist sehr sehr schwach. Ein Glück, dass in Innsbruck am 6. März wenigstens (schwacher Trost) ein Abendvortrag über den Existenzphilosophen, gehalten von Dr. Palfrader, stattfindet. Ach ja, und in Wien wird das martialische Drama „Caligula“ (hervorragend gespielt, aber schwer verdaulich) aufgeführt.