Jetzt ist die schwarze Sonne erloschen….

… aber ihre Stimme wird weiter glühen. Ein Klischee, das sicher mancher Nachruf jetzt bemühen wird, ich weiß. Aber so ist es nun mal: Wir können ihre Stimme abrufen, und sie wird uns warm und rauchig ins Ohr gehen, ihre Chansons können uns mit dem Geist der Rebellion befeuern oder uns eine warmen Decke bitter-süßer Melancholie überwerfen. Gestern, am 23. September 2020, ist Juliette Gréco im Alter von 93 Jahren im südfranzösischen Ramatuelle gestorben.

Es ist zehn Jahre her, dass ich sie noch life auf der Konzertbühne erlebt und bewundert habe. Bewundert nicht als lebendes Denkmal, sondern für die Lebendigkeit der vielen Facetten ihrer Persönlichkeit, die auch im Alter immer noch funkelten wie eh und je. Für die Selbstverständlichkeit, mit der sie scheinbare Gegensätze in sich versammelte, sie auslebte und dabei immer unverkennbar sie selbst war: la Gréco.

Ich erfuhr von ihrem Tod gestern in der „Kulturzeit“ bei 3Sat, und da war es wieder, gleich beim ersten Mal: „Sartre und Camus haben für sie Lieder geschrieben“. So steht es in Wikipedia, und so schreiben es auch heute wieder die Zeitungen. Seit Jahren versuche, ich, für diese angeblichen Camus-Chansontexte einen Beleg zu finden, leider ohne Erfolg. 2017 habe ich das Management von Juliette Gréco gebeten, ihr diese Frage weiterzuleiten, aber nur die Antwort erhalten, Madame Gréco beantworte aktuell keine Fragen, und dabei ist es geblieben. Wie schade. Diese Geschichte wird nun also wohl für immer Legende bleiben.

Schade auch, dass Iris Radisch es verpasst hat, Juliette Gréco nach dieser Legende zu fragen, als sie 2015 für die ZEIT ein sehr schönes Gespräch mit ihr geführt hat. Gréco kommt darin selbst auf Camus zu sprechen:

„ZEIT: War die Zeit irgendwie authentischer als heute?
Gréco: Sie hatte sehr starke Charaktere. Es waren Kämpfernaturen, richtige Krieger. Sie verteidigten ihr Werk mit allen Mitteln. Camus war so einer, ich liebte Camus.
ZEIT: Wie war Camus?
Gréco: Er war sehr verliebt in Maria Casarès. Er war ein Mann aus dem Süden, extrem großzügig und warmherzig. Sartre war sich seiner selbst nie ganz sicher. Camus war es umso mehr. Er war sehr lebendig, sehr männlich und lustig. Mir kam er rot vor, rot wie die aufgehende Sonne. Schrecklich verführerisch, ein schöner Mann. Ich habe ihn in der Rhumerie Martiniquaise getroffen, das war sein Königreich. Jean-Pierre Vivet hat uns vorgestellt. Ich habe ihn ungeheuer bewundert. Außerdem hatte er recht. Camus hatte recht, nicht Sartre.“ (Hier der Link zum Artikel)

Immerhin aber war es Sartre, der sie zum Singen gebracht hat. Wie das kam, habe ich 2013 in einem Beitrag erzählt, den ich heute gern noch einmal hervorhole. Und heute Abend werde ich eine Flasche guten Rotwein aufmachen, was ich allein äußerst selten tue, und nach langer Zeit wieder einmal in ihren Liedern baden. Merci, Madame Gréco, et Adieu!

Und hier nochmal mein Beitrag vom 7. Februar 2013 (leicht gekürzt, dort weitere Links zu Chansons).

Die schwarze Sonne glüht noch immer

Man wird sich heute wieder an sie erinnern: Juliette Gréco, die schwarze Rose von St. Germain, die Muse, Königin und Ikone der Existenzialisten, die schwarze Sonne von Paris oder welchen Titel man ihr auch immer angedichtet hat, wird heute 86 Jahre alt. Eine lebende Legende, ein Denkmal. So steht es überall zu lesen, und auch, dass Sartre und Camus für sie Lieder schrieben. „Sartre und Camus“, als müsste das einfach so sein, als gehörten die beiden einfach zusammen wie Hanni und Nanni.

Dass Camus Chansontexte geschrieben haben soll, finde ich zwar einen hübschen Gedanken. Allerdings habe ich bislang nirgendwo einen ernsthaften Hinweis darauf gefunden. Auch nicht bei Juliette Gréco selbst – und das hätte sie in ihrer selbst verfassten Autobiographie ganz gewiss nicht ausgelassen. In ihrem 2012 erschienenen Buch So bin ich eben. Erinnerungen einer Unbezähmbaren erzählt sie nämlich offen und geradeheraus nicht nur von ihrer Kindheit in Montpellier bei den liebevollen Großeltern, der Kaltherzigkeit der in der Résistance aktiven Mutter, von Verhaftung und materieller Not als sie sich mit nicht mal 18 Jahren allein in Paris durchschlägt. Sondern auch von all den großartigen Menschen, Männern und Frauen, die im Laufe der Jahrzehnte ihren Weg kreuzten oder sie ein Stück darauf begleitet haben. Der Jazztrompeter Miles Davis etwa  (eine lebenslange Liebe), Affären, Ehemänner, Leidenschaften. Jacques Prévert, Léo Ferré, George Brassens, Jacques Brel und Serge Gainsbourgh schrieben Lieder für sie, die bis heute unsterblich sind.

Dass sie aber überhaupt angefangen hat zu singen, haben wir in der Tat Jean-Paul Sartre zu verdanken. In etlichen Interviews ebenso wie in ihrem Buch hat Juliette Gréco die Geschichte, mit kleinen Variationen, erzählt. Im großen und ganzen geht sie so: 1949. Sartre hatte ein paar  Freunde zum Abendessen ins Restaurant eingeladen. Als sie anschließend auf dem Montmartre die Straße hinunter marschieren, dreht Sartre sich plötzlich zu ihr um und fragt sie: „Gréco, wollen Sie nicht singen?“ Nein, das habe sie nicht vor.  „Sie haben eine schöne Stimme. Sie sollten singen. Kommen Sie morgen früh um 9 Uhr zu mir“. Sartre war der intellektuelle Star der Szene, sie, Anfang 20, hatte gerade einmal einige winzig kleine Theaterrollen ergattert und sprach im Kulturradio Gedichte. Gréco ist um 9 Uhr da, obwohl sie da üblicherweise erst drei Stunden geschlafen hat, nach den durchfeierten, durchtanzten Nächten in den angesagten Jazzkellern und Clubs von St. Germain. Gemeinsam suchen sie einige Texte aus. Sartre schenkt ihr ein von ihm geschriebenes Chanson, La Rue des Blancs Manteaux aus seinem Theaterstück Geschlossene Gesellschaft, doch die Musik gefällt ihm nicht. Joseph Kosma, der Komponist von Les feuilles mortes, schreibt eine neue. Mit diesem und zwei anderen Chansons bestreitet sie wenig später ihren ersten Auftritt im angesagten Club Le Boeuf sur le Toit, wo auch die Surrealisten verkehren, Picasso, Jean Cocteau, Jean Marais… Überhaupt ist tout Paris da, oder immerhin tout St. Germain, denn die Gréco ist schon längst eine Berühmtheit, lange bevor sie überhaupt den ersten Ton gesungen hat.

Das schöne, wilde, unangepasste Mädchen, das immer dunkle Männerkleidung trägt (die ihr um einiges zu groß ist), fällt in der Szene auf. In der Zeitung Samedi Soir erscheint ein Foto, das sie mit langem schwarzem Haar und in ihrer Bohème-Kleidung zeigt. Darunter die Zeile: „Eine typische Existenzialistin. Sie hat zwei Tage nichts gegessen und heißt Juliette Gréco.“ Auch die amerikanische Zeitschrift Life veröffentlicht Fotos von ihr, die sie in der legendären Keller-Bar Tabou mit Berühmtheiten der Szene zeigen. Ganz ohne ihr Zutun hat man sie mit Anfang 20 schon auf einen Sockel gestellt und zur Muse von
St. Germain des Prés erklärt. Sagt sie zumindest. Wäre Juliette Gréco heute jung, würde man sie vermutlich ein It-Girl nennen. Ihr Kleidungsstil wird kopiert, was aus der Not geboren war, wird Mode.

Aber sie hat eben doch mehr zu bieten: eine außergewöhnliche Persönlichkeit und eine großartige Stimme. Ihre Stimme sei „wie ein warmes weiches Licht, das mit seinem Funkenschlag die Flammen der Dichter entzünden kann. Nur wegen ihr und um zu sehen, wie sich meine Wörter in Edelsteine verwandeln, habe ich Lieder geschrieben (…)“ – das schrieb Sartre über die Gréco.  Die Zeilen seien wie ein Pass für sie gewesen, sagt sie, „mit ihnen hatte ich überall Zutritt. Mein ganzes Leben lang.“ Leider sind beide Lieder, die Sartre noch für sie schrieb (Ne faites pas suer le marin und La perle de Passy) verloren gegangen.

Und Camus? Sie lernte ihn über einen gemeinsamen Freund, Jean-Pierre Vivet, kennen. Sie trafen sich häufiger, er sprach, sie hörte ihm zu, und vor allem haben sie getrunken und getanzt.

Daran musste ich denken, als ich Juliette Gréco selbst auf der Bühne erlebte – einmal 1997 in der Wuppertaler Stadthalle und einmal erst vor drei Jahren in Wien. „Diese Frau hat sie alle gekannt! Und mit Camus getanzt!“, dachte ich und bewunderte das Denkmal, die lebende Legende. Und merkte ganz schnell, wie unrecht ich ihr tat. Sie war 83 und stand da, aufrecht, im schwarzen Kleid wie eh und je und sang. Nie hat sie nur von den alten Hits und der alten Zeit gelebt, bis zum Schluss immer neue Lieder ins Programm genommen. Keine singende Mumie war das, vielmehr randvoll mit Leben, und durch ihre gereiften Gesichtszüge leuchtete immer noch von fern das wilde Mädchen von einst hindurch. In ihrer Biographie schreibt sie:

cover: Bertelsmann-Verlag

Bis zum letzten Tag meines Lebens werde ich für das Recht der Menschen kämpfen, glücklich zu werden. Ich werde also kämpfen gegen den Terror, gegen die geistige Bevormundung, gegen die Gleichgültigkeit und für das einzige Gut, das zu bewahren es sich um jeden Preis lohnt: die Freiheit. Die Freiheit, so zu leben, wie es uns gefällt, die Freiheit, lachen zu dürfen, die Gedankenfreiheit, die Freiheit, uns zu verschenken und den und das zu lieben, dem wir von ganzem Herzen zugetan sind“ (1).

Und da ist sie Camus wieder sehr nah.

(1) Juliette Gréco: So bin ich eben. Erinnerungen einer Unbezähmbaren. C. Bertelsmann Verlag 2012. Es handelt sich um den Anfang des Kapitels „Die Macht der Worte“, zitiert aus der E-Book-Version). 

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4 Antworten zu Jetzt ist die schwarze Sonne erloschen….

  1. PIERRE SCHOTT sagt:

    LA GRECO : Seltsamerweise, für mich, war immer „erloschen“ ein Wort das wie eine Erleichterung klang – heute, im Fall Juliette, ist es ganz anders: sie war immer so jung!
    L’ALBERT : Und warum nicht (sic)?Das gleiche gilt für seine Jugendgedichte die er verbrannt hat: ô wie man möchte eines davon lesen zu können!
    TENDRESSES DE MANOSQUE,
    PETRUS

    • Anne-Kathrin Reif sagt:

      Cher Pierre, dass er Chansontexte geschrieben haben könnte, finde ich ja auch gar nicht abwegig. Seltsam ist nur, dass es nirgendwo wirklich einen Hinweis darauf gibt, eben auch nicht von ihr selbst – während sie ansonsten so ziemlich ALLE nennt, die für sie geschrieben haben, und obwohl sie so schwärmerisch über Camus spricht. Die Texte von Sartre sind auch nicht erhalten – aber man weiß immerhin, dass es sie gegeben hat.Ich hätte das wirklich zu gerne noch herausgefunden, aber jetzt ist es wohl endgültig zu spät… très sincères salutations de Wuppertal, Anne-Kathrin

      • Hans-Werner Fröhlich sagt:

        Liebe Anne-Kathrin,
        zunächst vorab:
        Ein wunderbarer Text mit viel Empathie geschrieben. Ich habe die Nachrufe in faz, sz und nzz gelesen, Ihr so persönlicher „Nachruf“gefällt mir sehr!
        Mich bewegte genau so der Hinweis in den vielen Berichten, dass Albert Camus für sie ein Chanson getextet habe. Bevor ich Ihren Blog las, hatte ich mich bereits beim Rowohlt -Verlag erkundigt. Jetzt verfolge ich nach einem entsprechenden Hinweis einer Lektorin eine“ Spur“ in Frankreich und melde mich, wenn die Recherche einen Erfolg zeigen sollte. Ich hatte das Glück, die „Schwarze Sonne“ 2004 in der Museumsmeile in Bonn erleben zu dürfen…Lieber Pierre, Sie haben Recht: Sie hatte auch im Alter eine jugendliche Ausstrahlung. Vielleicht passen doch die Texte von Jacques Prévert am besten zu ihr…“ich bin, die ich bin“.Doch es wäre so schön, lesen zu können, was Albert ihr „zudichtete“. Salutations amicales Hans-Werner, Aix-La-Capelle

      • Anne-Kathrin Reif sagt:

        Lieber Hans-Werner, ganz herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Phantastisch, dass Sie eine Spur verfolgen – ich hoffe, sie führt zum Erfolg! Bitte bitte schreiben Sie mir dann wieder, damit wir die Geschichte hier im Blog erzählen können! Cordialement, Anne-Kathrin

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