Ein Wuppertaler Künstler und seine Hommage an Albert Camus‘ Erzählung „Jonas oder der Künstler bei der Arbeit“.
Eine kleine Galerie in Oberbarmen, jenem östlichen Stadtteil von Wuppertal, der nicht gerade für eine hohe Kulturdichte bekannt ist. Die Schwarzbach-Galerie von Barbara Binner behauptet sich hier jedoch seit vielen Jahren, oft hingezogen hat es mich bisher – vielleicht sträflich – nicht. Da muss in einem Vernissage-Bericht der örtlichen Tageszeitung erst unversehens das Stichwort CAMUS aufploppen. Der Wuppertaler Maler Dirk H. Schäfer, Jahrgang 1943, hat eine (von zwei ausgestellten) Bilderserien als Hommagen an Künstler und Literaten gestaltet, die ihm persönlich viel bedeuten. Darunter auch Albert Camus, erfahre ich.
Beim Betreten der Galerie fällt mir aber als erstes „Saint-Ex“ ins Auge, gleich rechts im ersten von zwei Räumen, großformatig: Nicht als Flieger, sondern in Hemd und Schlips steht der Autor vor einer Traumkulisse, die seinem Roman von 1936 Citadelle (dt.: Die Stadt in der Wüste) entsprungen zu sein scheint. Drei Arbeiten gelten Künstler-Lehrern und Vorbildern. La plaine de l’arc ist Paul Cézanne gewidmet: Dunkle Wände in Braun-Blautönen hat das Zimmer, durch dessen Fenster der Betrachter auf eine lichte Landschaft gewissermaßen mit den Augen des Impressionisten schaut. Anstelle einer naturalistischen Landschaftsdarstellung breitet sich dort die Landschaft von Cezannes Gemälde La plaine de l’arc, paysage près d’Aix aus. Die beiden anderen Gemälde gelten Ernst Oberhoff, der in den 1960er Jahren Schäfers Lehrer an der Wuppertaler Werkkunstschule war, und dem deutschen Maler Hans Purrmann (1888-1960), Schüler und Freund von Henri Matisse. Auch hier verbindet Schäfer gekonnt den eigenen Stil mit Zitaten der Künstlerkollegen. In einem zweiten Rundgang nehme ich mir mehr Zeit für sie, ebenso wie für die zweite Serie der „Spiegelungen“ – allesamt ansprechende Malerei in großem Format, entstanden in den letzten fünf Jahren.
Nach dieser Einstimmung bin ich umso mehr gespannt darauf, mit welchen Mitteln der Künstler seiner Verehrung für Albert Camus Ausdruck verliehen hat. Jonas, der Maler bei der Arbeit ist ein (wiederum großformatiges) erzählerisches Werk, in dem mit Camus vertraute Betrachter gewiss auch ohne den Titel-Hinweis sogleich die Referenz auf Camus‘ Erzählung Jonas oder der Künstler bei der Arbeit aus der Novellensammlung Das Exil und das Reich erkennen. Wir sehen einen hohen Innenraum, in den in der linken Bildhälfte podestartig eine zweite Ebene eingebaut ist: Hier hinauf hat sich der Maler Jonas in Camus‘ Novelle zurückgezogen – vor der Welt, vor seinen vielen Verehrerinnen und Bewunderern, die ihm der einst doch ersehnte Erfolg beschert hat, und die ihm nun die künstlerische Arbeit unmöglich machen. Nach einer schweren Schaffenskrise hat sich Jonas in diesem Verschlag verbarrikadiert, endlich arbeite er wieder wie besessen an einem neuen Werk, man dürfe ihn nicht stören, heißt es. Am Ende entpuppt sich das von allen mit Spannung erwartete Werk als weiße Leinwand, auf der nur ein einziges Wort geschrieben steht, bei dem man nicht entziffern kann, ob es solidaire heißt oder solitaire (gemeinsam oder einsam). Eben dieses Bild sehen wir auch auf dem Podest im Gemälde von Dirk Schäfer, davor ein umgestürzter Stuhl und im Hintergrund, schemenhaft nahezu mit dem Hintergrund verschmolzen, in kopfüber zusammengesunkener Haltung den Maler Jonas.
Die zwei Gemälde, die in der unteren Bildhälfte zu sehen sind, stammen offenbar aus besseren Tagen des Malers, auf dem größeren, rechts prominent ins Bild gesetzt, hat er seinen eigenen Schöpfer Albert Camus porträtiert – ein besonders hübscher Einfall, wie ich finde. Der Blick durch das hohe, in Rechtecke aufgeteilte Fenster (in dem eine der Scheiben zerbrochen ist), zeigt eine Pariser Straßenszene, wo Camus und Sartre einander zugewandt im Café sitzen, Camus natürlich mit Zigarette im Mund, Sartre mit Pfeife. Auf einer Litfaßsäule auf der Straßenseite gegenüber wird die Premiere von Camus‘ Theaterstück Le Malentendu (Das Missverständnis) im Théâtre du (des) Mathurins angekündigt. Den Herrn im blauen Mantel, der gerade dort vorbeigeht, hätte ich vermutlich nicht erkannt – stünde er nicht gerade neben mir. Eine gute Gelegenheit, ihn zu fragen:
Herr Schäfer, warum haben Sie gerade diese Erzählung von Camus für Ihre Hommage-Serie ausgewählt? Sie kennen als Maler selbst den Konflikt, die Kunst als wichtigen Lebensinhalt zu haben, und durch die Beanspruchungen des Alltags davon abgelenkt zu werden?
Dirk H. Schäfer: Das ist richtig. Allerdings habe ich mich selbst nicht so tief in diesen Konflikt hineinbegeben. Ich bin in der glücklichen Lage, mein Atelier auf der Etage neben unserer Wohnung zu haben, und dorthin kann ich mich jederzeit zurückziehen und kann arbeiten.
Trotzdem bleibt für den Künstler ja dieses Spannungsverhältnis von solidaire und solitaire, von Einsamkeit und Gemeinsamkeit, bestehen, oder? Wie ist es für Sie: Braucht man als Künstler auch die Einsamkeit, oder ist die Einsamkeit im Kunstschaffen etwas, das man einfach ertragen muss?
Schäfer: Ich brauche ein gewisses Maß an Einsamkeit. Das ist nicht etwas, worunter ich leide. Wenn ich mir aber vorstelle, ich hätte als Rentner nichts mehr zu tun – dann wäre ich einsam und würde mich fragen, was soll ich denn auf der Welt? Gerade dadurch, dass ich arbeite, male, dadurch erreicht mich diese Einsamkeit nicht.
Wie ist ansonsten Ihre Beziehung zu Camus? Haben Sie auch sein übriges Werk rezipiert, hat es Sie irgendwie beeinflusst?
Schäfer: Ich habe früher viel von Camus gelesen, aber das ist lange her. Tatsächlich habe ich vieles auch vergessen. Es ist vor allem der „Jonas“, der mich bis heute beeindruckt.
Dirk Schäfer absolvierte in den 1960er Jahren ein Studium an der Wuppertaler Werkkunstschule und unterrichtete anschließend zunächst an der Berufsschule in Wuppertal. Nach Abschluss der Referendarausbildung unterrichtete er an der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule in Hagen und schließlich bis zur Pensionierung am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal. In dieser aktiven Zeit als Lehrer blieb – ganz „Jonas“ – kaum Zeit und Raum für die eigene Kunst. Erst seit der Pensionierung kann er sich wieder voll und ganz der Malerei widmen und ist ungebrochen kreativ. Von den in der Schwarzbach-Galerie ausgestellten Arbeiten ist keines älter als fünf Jahre.
- Zu sehen ist die Ausstellung von Dirk H. Schäfer mit dem Titel „So gesehen: gespiegelt – erinnert“ mit Arbeiten noch bis zum 3. September 2023 in der Schwarzbach-Galerie, Schwarzbach 174, Wuppertal Oberbarmen (mittwochs und sonntags, 16-18 Uhr, und nach Vereinbarung). Info: www.schwarzbach-galerie.de
Der Blick auf Barmen zeigt eine gewisse rheinische Überheblichkeit auf die westfälische Kulturwüste. Barmen seiner westfälischen Heimat durch Eingemeindung 1929 zur neuen Stadt Wuppertal beraubt, leidet also heute noch unter feinsinniger Diskriminierung. Ohne Grund, befindet sich doch die Oper, das Elterhaus Friedrich Engels im Stadtteil. Oberbarmen erfreut sich gehobener kreativer Küche und vieler Beispiele niederbergischer Architektur. Seine Hanglagen bieten wunderbare Ausblicke über das Tal der Wupper. Vielleicht sollte man Barmen heimholen nach Westfalen!
Lieber Tillmann, tatsächlich befinden sich Oper, das Museum Engels-Haus (welches nicht sein eigentliches Elternhaus ist) und das interessante, benachbarte Museum für Frühindustrialisierung in Barmen – aber eben nicht in Oberbarmen. Da gilt es doch, eine feine Unterscheidung zu treffen. Je weiter man nach Osten gelangt, umso mehr nimmt die „Kulturdichte“ ab, obwohl es durchaus Spannendes zu entdecken gibt (seit einiger Zeit z.B. die „immersiven“ Ausstellungen im Gasomether in Heckinghausen) oder den BOB-Campus. Darüber hinaus ist ja Oberbarmen eh ein Geheimtipp, sogar für den Urlaub – gibt es dort doch seit Kurzem eine eigene Tourismuszentrale (als Kunstprojekt). Nachzulesen in aller Ausführlichkeit in meinem Beitrag „Urlaub in Oberbarmen“ in Ausgabe 1/2023 des Kulturmagazins „die beste Zeit“. Ich schicke gern ein PDF. Sowieso gilt natürlich immer der alte Wuppertaler Slogan „Barmen – die Wüste lebt!“ Heimholen nach Westfalen braucht man Barmen übrigens nicht, die alte Grenze zwischen Rheinland und Westfalen verläuft wie eh und je zwischen Barmen und Elberfeld in Höhe der Haspeler Brücke. An dieser Stelle bewies Kaiser Wilhelm II beim Besuch zur Einweihung der Schwebebahn 1902 übrigens preußisch-rheinische Überheblichkeit, als er beim Überqueren der Brücke in Richtung Elberfeld mit der kaiserlichen Kutsche zu seiner Gemahlin Auguste gesagt haben soll: „Gustchen, setz den Hut gerade, wir kommen jetzt in die Stadt.“ Eine verlässliche Quelle zu dieser seit nunmehr gut 120 Jahren überlieferten Anekdote kann ich allerdings nicht angeben. Mit herzlichem Gruß ins westfälische Sprockhövel! P.S. Bitte schicke gelegentlich genauere Angaben zur „gehobenen kreativen Küche“ in Oberbarmen. Das hat mich neugierig gemacht. P.P.S. Zur Geschichte des Engels-Hauses und Neugestaltung der Dauerausstellung empfehle ich ebenfalls „die beste Zeit“, Beitrag „Endlich mal ins Engels-Haus“ von akr, Ausgabe 04/2022.
Einer der wichtigsten, edlen Qualitäten des Menschen ist die Würdigung des Alters. Seines eigenen wie des Menschen überhaupt.
Lieber Herr Heise, das haben Sie schön gesagt! Vielen Dank und noch einen schönen Sonntag!