„1968 revoltierte eine Generation gegen den Muff einer vorherrschenden konservativen und immer noch von Nazi-Strukturen durchzogenen Gesellschaft. 1989 revoltierten Bürger der DDR gegen die Gängelung durch den Staat und für ihr Recht auf Freiheit und echte Demokratie. Heute glauben einige Menschen, es gäbe Anlass, gegen Gemeinsinn, Offenheit und humanitäres Handeln zu revoltieren“, schreibt Sebastian Ybbs, Vorsitzender der Albert-Camus-Gesellschaft in Aachen. „Doch wofür lohnt es sich für uns heute wirklich zu revoltieren?“ – Die Frage soll im Mittelpunkt des nächsten offenen Gesprächsabends am morgigen Dienstag, 4. April 2017, stehen: 20 Uhr im Logoi, Jakobstr. 25a, in Aachen.
Was für eine spannende Frage, eröffnet sich doch gleich zwei große Diskussionsfelder! Zunächst einmal finde ich, dass sie sehr wohl überlegt gestellt ist, indem sie nämlich nach dem fragt, wofür es sich zu revoltieren lohnt – und nicht wogegen. Obwohl letzteres in der Regel der frühere, ursprünglichere Impuls ist. Der Revolte als Akt, als Handlung geht die innere Revolte voraus, die sich in der Empörung gegen einen als unzumutbar empfundenen Sachverhalt ausdrückt. So offenbart der Impuls der Empörung, dass es etwas zu verteidigen gibt – mithin, dass es etwas gibt, wofür es zu revoltieren lohnt. – Das eröffnet freilich ein weites Feld, denn woran sich der Funke der Empörung entzündet, ist zweifellos abhängig von einem zugrundeliegenden Wertesystem. Setzt die Revolte also immer schon bestimmte Werte voraus (die zu verteidigen sie sich anschickt), oder bringt sie durch ihr Handeln selbst einen Wert hervor? Und was wäre das für uns heute in dem einen oder dem anderen Fall?
Die zweite Fragerichtung setzt die Betonung anders: „Wofür lohnt es sich zu revoltieren?“ Ist lohnen gleichbedeutend mit Aussicht auf Erfolg haben? Und muss es sich in diesem Sinne überhaupt lohnen, zu revoltieren? Oder gibt es ein anderes Verständnis von lohnen, mit dem wir sicher näher bei Camus wären?
Schade, dass ich morgen in Aachen nicht dabei sein kann… Aber es lohnt sich ganz sicher, auch allein über die Frage „Wofür lohnt es sich zu revoltieren?“ nachzudenken oder bei nächster Gelegenheit selber ein Gespräch mit anderen darüber anzuzetteln. Welche Antworten haben Sie und Ihre Freunde gefunden? Das interessiert mich sehr. Wenn Sie mögen, dann berichten Sie doch hier in einem Kommentar darüber. Ich würde mich freuen! In diesem Sinne: à bientôt!
hallo, die „Albert Camus Gesellschaft in Aachen“ (http://albert-camus-gesellschaft.org/) trifft sich regelmäßig, um über das werk von Albert Camus und dessen bedeutung und weiterungen im heutigen leben unakademisch zu diskutieren. so auch über das oben anstehende thema „Ich revoltiere, also sind wir.“
als eines der mitglieder fasse ich ab und an das von mir verstandene und behaltene, beispielsweise als brief an AC, auf meinem blog zusammen.
hier ein fazit aus diesem brief:
lieber Albert, das von dir geforderte säkulare verantwortungsprinzip, das sich aus der revolte ergibt, sich selbst und den anderen gegenüber ist das schwerste, was du uns abverlangen kannst. arsch huh, sagen die Kölner, wenn sie das verlassen der eigenen komfortzone meinen. lass uns hoffen, dass es immer genügend viele menschen geben wird, die diese aufgabe des Sisyphos stemmen können.
wollen sie mehr wissen, so lesen sie hier: http://www.litbiss.de/acamusg!
© 08.04.2017 brmu/litbiss.de
Lieber Herr Ulbrich, herzlichen Dank für den Hinweis auf Ihre Zusammenfassungen der Camus-Gesprächskreise und anderer Einlassungen zu Camus auf Ihrem Blog. Ihre „Briefe an Camus“ sind eine schöne lebendige und sehr persönliche Form der Auseinandersetzung! Ich wusste nicht, dass es außer mir noch andere „Verrückte“ gibt, die gelegentlich mit Camus Zwiesprache halten ;-), und freue mich darüber. Lieben Dank auch für den Link auf meinen Blog. Herzliche Grüße, Anne-Kathrin Reif
Hallo Frau Reif, besten Dank für die Lorbeeren. Es wäre gut, wenn viele Lesehungrige in unserer Zeit durch die Lektüre von Camus „ver-rückt“ würden, ab-gerückt von ihren eingetretenen Denkpfaden, Urteilsgewohnheiten und Handlungsschemata. Die offene und öffentliche Auseinandersetzung mit Camus müsste noch viel intensiver erfolgen. Er hat uns Heutigen viel zu sagen. Zwiesprache in der Lesekapsel ist das Eine, der Ping-Pong der Meinungen in der Diskussionsrunde wie in der Albert Camus Gesellschaft in Aachen das Andere. Beides hilft, zu verstehen. Vielen Dank für Ihren Blog, der ist m. E. eine wichtige „Hausnummer“ in der allgemeinen Rezeption. brmu/10.4.2017
Im Sinne Camus‘ immer für die Freiheit, für die Freiheit in Madrid, in Poznan, Budapest, Algier, Prag etc. Dafür hat er deutlich seine Stimme erhoben, gerade gegen den Mainstream der Politeunuchen.Ob der 68er Protest ein Kampf für die Freiheit war, erscheint mir fraglich.