Camus-Freunde nehmen es offenbar nicht klaglos hin, dass in diesem Blog (wie gestern angekündigt) nun Lücken entstehen sollen. Das freut mich, auch wenn es vorerst dabei bleiben wird. Trotzdem nehme ich gern als Gastbeitrag hier auf, was Tillmann Schaub heute geschickt hat, zeigt es doch wieder einmal, wo Camus uns überall begegnet. Hier der Beitrag von Till:
“Der Feind in den eigenen Reihen”
Unter diesem Titel zeigte gestern der MDR um 22:50 Uhr aktuell zum Einstieg in den Krieg in Mali den Spielfilm L’ennemi intime, 2007, Frankreichs späte Auseinandersetzung mit dem Algerienkrieg. Der junge Lieutenant Terrien (Benoit Magimel) hat sich freiwillig gemeldet und erlebt einen Krieg, der von beiden Seiten mit äußerster Grausamkeit geführt wird … Im Gepäck hat er Camus‘ Roman, Der Fremde, im Film ein kleiner, visueller Hinweis auf den Anspruch der Menschlichkeit, an dem aber in der Realität des Totalen Krieges der Lieutenant scheitert. Auch der politische Camus ist im Algerienkonflikt als Vermittler gescheitert. Die IV. Republik hatte trotz des sich seit der Suez Krise sich abzeichnenden Ende des Kolonialismus nicht die Kraft, Camus‘ Heimat Algerien endlich in die Freiheit zu entlassen. Dieser letzte verlorene Krieg Frankreichs durfte bis in die 90er Jahre nie als Krieg benannt werden. In Frankreich führte seine Beendigung durch De Gaulle fast zum Bürgerkrieg aber auch zur V. Republik. Algerien verwandelte sich wie von Camus befürchtet, hervorgerufen durch den uneingeschränkten angewandten Terror in ein nachkoloniales Unrechstsystem, dessen eigener Bürgerkrieg bis heute nicht beendet ist. Die französische Linke bekannte sich kritiklos zu den Befreiern und distanzierte sich immer mehr von Camus, der schon in den Nachkriegsjahren und den 50ern konsequent gegen Unterdrückung der Freiheit in Osteuropa eintrat. Zwar hatte der Ungarnaufstand bei der PC schon 1956 zur Entstalinisierung beigetragen, aber im innenpolitischen Konflikt und Klärungsprozess der Linken blieb Camus für viele ein “Verräter”, ein “Feind in den eigenen Reihen”, vor allem weil er unangenehme Wahrheiten postulierte und schwierige Denkprozesse einforderte.
Soweit, mit ganz leichter Kürzung, der Beitrag von Till.
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die Äußerungen von Camus zur Algerienfrage nachzulesen. Sie sind zu Teilen auch ins Deutsche übersetzt und finden sich in dem Band Fragen der Zeit, Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg 1960 (Vorwort zur Algerischen Chronik, Brief an einen algerischen Aktivisten, Aufruf für einen Burgfrieden in Algerien, Algerien und Das neue Algerien). Camus wendet sich offen gegen den bewaffneten Kampf und die Repressionen Frankreichs und prangert Folter und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung an; genauso verurteilt er den Terror der Nationalen Algerischen Befreiungsfront FLN. Camus‘ Aufsätze und Reden sind ein beeindruckendes Beispiel für eine Haltung, die sich nur der eigenen Überzeugung verpflichtet weiß und sich beharrlich weigert, sich von irgendeinem politischen Lager vereinnahmen zu lassen. Es lohnt sich auch deshalb, diese Schriften zu lesen, weil sie unabhängig vom Thema der historischen Algerienfrage in vielerlei Hinsicht leider von erschreckender Aktualität sind.
Und weil Camus immer wieder Sätze findet, die wie Leuchttürme sind:
„Man findet sich zu leicht mit dem Verhängnis ab. Man lässt sich zu leicht zu dem Glauben verleiten, dass im Grunde genommen nur das Blut die Geschichte vorwärts treibt und dass der Stärkere dank der Schwäche des anderen fortschreitet. Vielleicht gibt es dieses Verhängnis. Aber es ist nicht die Aufgabe des Menschen, es hinzunehmen und sich seinen Gesetzen zu unterwerfen“ (1).