17. April 2020. Tag 31 nach dem „Shutdown“, der Schließung der Läden, Restaurants, Museen, Clubs, Cafés, Konzerthäuser und Wasnichtalles und der weitgehenden Kontaktbeschränkungen, geht zu Ende. Ein ganzer Monat (für mich) ohne Arbeit, ohne Verpflichtungen, ohne die gewohnten Ablenkungen und Freuden „vor Corona“. Keine Treffen mit Freunden, kein Kulturleben, keine Ausflüge und Reisen, kein Cappuccino am Straßenrand. Die Starre, mit der ich anfangs quasi ununterbrochen die neuesten Nachrichten verfolgt habe, hat sich gelöst; eine gewisse Lähmung, die mich daran hindert, das Ganze als nutzbringendes „Sabbatical“ umzudeuten, ist geblieben. Aber irgendwie beginnt man sich einzurichten und zu gewöhnen und rollt jeden Tag wieder den Stein, indem man versucht, das Beste draus zu machen. Zum Beispiel: Wahrnehmen und Hinspüren auf das, was jetzt so sehr fehlt, und was mir zuvor zu selbstverständlich geworden war. Und mir selbst das Versprechen geben, es nicht wieder selbstverständlich werden zu lassen, sondern als das wertzuschätzen, was es ist, nämlich kostbar. Wenn es denn überhaupt alles so zurückkommt, wie es mal war, was noch längst nicht ausgemacht ist.
Und dann habe ich doch wieder den Fehler gemacht, die Nachrichten- und Social-Media-Kanäle aufzudrehen, und jetzt kommt es mir so vor, als schlüge da eine Riesenwelle über meinem Kopf zusammen, und ich muss nach Luft schnappen. Was für ein Getöse: Das Leben wird wieder hochgefahren! Schon am Montag! Vorsichtig, schrittchenweise, mahnt die Politik – aber schon rufen alle „dann wollen wir aber auch“ und „wir halten nicht mehr lange durch“, und jeder weiß am allerbesten, was jetzt am besten wäre, erst die Kindergärten, erst die Abschlussjahrgänge an den Schulen, erst diese oder jene Geschäfte, und warum machen wir’s eigentlich nicht sowieso wie die Schweden, da geht es doch auch ohne viel Beschränkungen*; überhaupt, jetzt ist mal gut und die Wirtschaft ist wieder dran. Wer sich jetzt noch alarmiert zeigt, ist eh ein Panikmacher, sieht man doch, dass alles halb so schlimm ist, in den Krankenhäusern stehen ja reichlich Intensivbetten leer.
Ich weiß mal wieder nicht, was am allerbesten wäre. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass sich das Virus nicht von wirtschaftlichen Entscheidungen der Politik und der Ungeduld der Menschen beeindrucken lässt. Und mir kommt ein Zitat von Camus in den Sinn, das in diesem Fall mal nicht aus der Pest ist, sondern aus seinem Notizbuch:
„Die Krankheit ist ein Kloster mit seiner Ordensregel, seiner Askese, seinem Schweigen und seinen Erleuchtungen.“ **
Heute Abend kommt es mir so vor, als würden die Menschen gerade beginnen, im Klosterhof einen Jahrmarkt aufzubauen – und als würde uns ein wenig längeres Einrichten im Verzicht und Einüben ins Schweigen noch ganz gut tun. Aber vielleicht sieht ja morgen schon wieder alles ganz anders aus. In diesem Sinne für heute: bonne nuit – und bleiben Sie gesund.
*Zur Situation in Schweden hier ein Spiegel-Artikel
** Albert Camus, Tagebücher 1935-1951. Deutsche Übersetzung von Guido G. Meister. © 1963,1967 Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, S. 155. Notiz vom November 1942.
Von Anfang anlesen: „Camus-Corona-die Pest-und ich-Tagebuch“ (1)