Caligula – Grandioses Theater in der Rottstr. 5

Ensembleszene mit Martin Bretschneider (vorne) als Caligula. © alle Fotos: Theater Rottstr. 5

Ensembleszene mit Martin Bretschneider (vorne) als Caligula, links Marco Massafra (Cherea/Regie), daneben Bernard Schmidt-Hackenberg (Scipio) und Lisa Balzer (Caesonia). © alle Fotos: Sabine Michalak

Der dunkle Anzug hängt ihm triefend schwer am Körper, barfuß und nass bis auf die Knochen kommt Caligula endlich schweren Schrittes durch die Zuschauerreihen im Bochumer Theater an der Rottstraße von draußen hereingeschlurft – und in Sekundenbruchteilen ist man schon für ihn eingenommen. Diesen jungen, schönen Kaiser, der sich im Verlauf der nächsten 90 Minuten als ein Tyrann erweisen wird, der seine unbeschränkte Macht mordend, vergewaltigend und demütigend mit vollkommener Willkür auslebt, wird man nicht hassen können. Denn Martin Bretschneider macht schon mit jedem Schritt das Gewicht jener Erkenntnis spürbar, die Caligulas Welt nach dem Tod seiner Schwester und Geliebten Drusilla aus den Angeln gehoben hat, und das jetzt mit einer so ungeheuren Schwere auf ihm lastet: „Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich.“

Deshalb hat er den Mond nötig. Oder die Unsterblichkeit, irgendetwas, das unsinnig ist aber nicht von dieser Welt. Etwas, das zeigt, dass das Unmögliche möglich werden könnte, dass die Menschen aufhören könnten zu sterben und glücklich wären. Natürlich weiß er, dass er verlieren wird. Aber er findet sich nicht damit ab. Im Gegenteil – alles, was er tut, ist eine verzweifelte, ebenso sinnlose wie hellsichtige Revolte gegen die condition humaine – und gegen die Angewohnheit der Menschen, sich die Wahrheit über ihre Situation zu verschleiern und sich mit der ein oder anderen Lebenslüge trotz allem bequem einzurichten. Gewiss, Caligula wird darüber zum Monster. Ausbrüche roher Gewalt wechseln mit in heiterer Gelassenheit vorgetragenen Beschlüssen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Doch bei all dem bleibt jederzeit spürbar, welche durch nichts und niemanden zu tröstende existenzielle Traurigkeit ihn ausfüllt, welcher Abgrund an Einsamkeit in seinem Inneren klafft, aus dem die Erinnerungen an Liebe, Freundschaft, Zärtlichkeit und an die Schönheiten der Welt nurmehr wie flüchtige Trugbilder aufsteigen, denen er keinen Glauben mehr zu schenken vermag. Man möchte dieses mordende Monster, das Martin Bretschneider da schillernd mit all seinen Facetten in jeder Sekunde vollkommen glaubhaft, mitreißend, beängstigend und anrührend gibt, wie ein Kind in die Arme nehmen, so wie Caesonia es tut, die ihn liebt und die er am Ende in einer qualvoll langen Szene erwürgen wird.

Das Theater an der Rottstraße in Bochum: ein schäbiges Gewölbe unter einer Bahnbrücke, über die in regelmäßigen Abständen die S-Bahn rattert. Roher Betonboden, offene Rohre, abgerissene Wandverkleidungen. Man erreicht es über einen Hinterhofeingang; von der anderen Straßenseite leuchtet der rote Neonschriftzug der Peep-Show „Miami“ herüber in den Hof. Die Ausstattung des Stücks besteht aus einer Reihe schlichter weißer Tische und Drehstühle, wie man sie aus Seminarräumen und Büros kennt; einem halben Dutzend Tellern (inklusive Spaghetti mit Tomatensoße), Gläsern (Rotwein) und Besteck (das aber nicht zum Einsatz kommt, weil es Caligula gefällt, sein Gefolge wie die Schweine aus dem Trog fressen zu lassen), einer Kaffeemaschine und einem Uralt-Computer nebst Drucker, der ratternd die endlose Liste der zum Tode Verurteilten ausspuckt. Kostüme: schlichte Straßenanzüge und weiße Hemden für die vier Männer, schwarzer Rock und rotes Abendkleid für Caesonia. Ach ja: ein weißes Bettlaken in verschiedener Funktion und ein Blumentopf mit trockenen Olivenbaumzweigen.

So wenig braucht man also, um grandioses Theater zu machen.

Starres Entsetzen: Marco Massafra als Cherea.

Starres Entsetzen: Marco Massafra als Cherea.

Dass es so wenig braucht, liegt daran, dass hier zwei allerdings unverzichtbare Voraussetzungen gegeben sind: Ein Regisseur, Marco Massafra, der die Gedanken- und Gefühlstiefe des Camus’schen Textes ausgelotet hat und sie klug und kreativ mit einer Reihe von bestechenden Einfällen in Bilder und Handlung übersetzt. Und fünf fantastische junge Schauspieler, welche mit jeder Geste, jedem Blick, jedem Schritt, jedem kleinsten Verziehen des Mundwinkels den je eigenen Charakter ihrer Figur und deren Verhältnis zum Imperator so glaubhaft ausdrücken, als sei er ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.

Hoffnungslos: Caesonia und Caligula in einem Moment der Zärtlichkeit.

Hoffnungslos: Caesonia und Caligula in einem
Moment der Zärtlichkeit.

Lisa Balzer: Caesonia, die den Kaiser ebenso hoffnungs- wie bedingungslos liebt, und deren tiefer Schmerz darin besteht, aus Liebe einen Weg mitzugehen, den sie selbst von Anfang an als falsch erkennt. Marco Massafra: der Patrizier und Philosoph Cherea, der gegen Caligulas konsequente aber tödliche Logik das menschliche Verlangen nach Glück und (trügerischer) Sicherheit verteidigt, der unter dem Übermaß der Demütigungen innerlich zu verlöschen scheint und sich am Ende doch aus seiner Starre befreit und zum Tyrannenmörder wird. Bernhard Schmidt-Hackenberg: der sensible junge Dichter Scipio, dessen Vater Caligula töten ließ, der in seiner ganzen Erscheinung und seinem ganzen Habitus Caligula am gegensätzlichsten zu sein scheint und doch der einzige wirkliche Seelenverwandte ist, der ihn versteht, der ihn liebt, und der es schafft, sich von ihm loszusagen und zu gehen.

Damir Avdic als Helicon (links).

Damir Avdic als Helicon (links).

Damir Avdic: Helicon, der ehemalige Sklave und Vertraute Caligulas,  ihm mit bedingungsloser Einfalt ergeben wie der Schutzgeldeintreiber einer Streetgang seinem Clanchef. Wie er sich brüstet in dem bisschen Zuwachs an Macht, das ihm seine Stellung gewährt, bis auch ihm langsam dämmert, welchen Preis er dafür zu zahlen hat.

In der Nähe und Unmittelbarkeit dieses kleinen Theaters ohne Bühne behaupten sie keine Gefühle und Gedanken, die der Zuschauer erst in kognitiver Anstrengung zu entschlüsseln hätte – sie füllen damit den Raum und verkörpern sie so unmittelbar, dass sie sich geradezu physisch zu übertragen scheinen. Da tut es gut, dass immer mal wieder die absurde Komik einer Szene auch zum befreienden Lachen reizt – wenn es einem auch gleich wieder im Halse stecken bleibt.

Noch einmal: Das ist ganz und gar großartiges Theater, das trotz Textkürzungen und wenigen freien Texteinsprengseln dem in seiner Zeitlosigkeit immer noch aktuellen Stück Camus‘ voll und ganz gerecht wird.

Das altersmäßig durchaus gemischte, wenn auch überwiegend junge Publikum der ausverkauften Premiere dankte mit enthusiastischem, lang anhaltenden Applaus.

Theater mit dem rauen Charme des Ruhrgebiets: Eingang zur Rottstr. 5. ©Foto: skr

©Foto: akr

Nächste Vorstellung: 29. September 2013, 19.30 Uhr, Theater Rottstr. 5 in Bochum. Weitere Vorstellungen voraussichtlich einmal im Monat. Karten und weitere Infos hier.

 

Dieser Beitrag wurde unter Bühne/ Film/ Fernsehen, Kritiken von Anne-Kathrin Reif abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

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