Auf der Suche nach einem Ort, der „Heimat“ heißt

Zitat aus "Die Pest", aufgenommen beim Festivial "vive Camus" des fringe ensembles 2016 in Bonn. ©Foto: akr

Zitat aus „Die Pest“ (1), aufgenommen beim Festivial „vive Camus“ des fringe ensembles 2016 in Bonn. ©Foto: akr

Heute mal eine Variante des „Zitats zum Sonntag“ in Bildform: Aufgenommen hatte ich es bereits bei der Vorstellung des fringe ensembles von Die Pest im Januar beim Camus-Festival im theater im ballsaal in Bonn. Aber weil es so schön ist, bringe ich es gerne noch einmal – quasi als Beitrag zur diesjährigen Literatur Biennale in Wuppertal, die am 24. Mai beginnt, und auf die ich hier gern hinweise, auch wenn Camus dabei nicht eigens vorkommt. Schließlich kann (und sollte) man ja auch mal über den Tellerrand schauen, zumal in der eigenen Stadt. Unter dem Titel „Utopie Heimat“ finden bis 4. Juni insgesamt 31 Lesungen und Konzerte an 19 über die Stadt verteilten Orten statt. Prominente Namen wie Jenny Erpenbeck, Durs Grünbein, Katharina Hacker, Navid Kermani, Ulrich Peltzer, Sasa Stanisic und andere mischen sich dabei mit eher regional bekannten Autoren und Wuppertaler Lokalmatadoren. Beeindruckend finde ich es, mit welchem Spürsinn die Programm-Macher (ein Team unter Federführung des Wuppertaler Kulturbüros in Zusammenarbeit mit den örtlichen Literaturverbänden) trotz einer Vorlaufzeit von ein bis anderthalb Jahren immer wieder am Puls der Zeit sind: Mit „Freiheit“ 2012, „unterwegs nach Europa“ 2014  und jetzt eben „Utopie Heimat“ haben sie jedes Mal treffsicher ins Zentrum weltweit virulenter Themen und Debatten getroffen. In einer Zeit, wo Abermillionen Menschen aus ihrer jeweiligen Heimat vertrieben und auf der Flucht sind, und zugleich hierzulande die Grundwerte unseres Zusammenlebens durch selbsternannte „Heimatschützer“ bedroht werden, ist das Thema zweifellos von brennender Aktualität.

Dabei führt der widersprüchliche oder zumindest verwirrende Titel „Utopie Heimat“ ja noch viel weiter… Fragen wir uns doch selbst einmal: WO genau liegt denn dieser Ort, den ich für mich Heimat nenne? Was braucht es, um mich dort dauerhaft zuhause zu fühlen? Ist das Ideal der „Heimat“, wie es uns (vielleicht) aus der Kindheit herüberscheint, nicht immer schon ein verlorener Ort? Ein Ort, den wir niemals wiederfinden werden, weil wir niemals wieder so sehr fraglos eins sein werden mit der Welt – ein Un-Ort also, mithin eine Utopie? Weil immer irgendwann mit dem Erwachen des Verstandes jene Fragen aufbrechen, auf die die Antworten ausbleiben und die den „Zwiespalt des Absurden“ ausmachen… Wie können wir dennoch in der Welt zuhause sein, wie lässt sich die Kluft zwischen Mensch und Welt wenigstens momentweise überwinden, wie kann das „Exil“ wieder zum „Reich“ werden? Und schon sind wir ausgehend vom Thema der Wuppertaler Literatur Biennale im Zentrum der Philosophie von Camus gelandet…

Wuppertaler Literatur Biennale, 24. Mai bis 4. Juni. Mehr Infos unter www.wuppertaler-literatur-biennale.de. Tickets ebenfalls dort sowie auf www.wuppertal-live.de oder bei der „Kulturkarte“ Wuppertal, Telefon 0202/ 563 7666. 

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(1) Das Zitat ist hier etwas verkürzt. Im Original: „Für sie alle befand sich die wahre Heimat jenseits der Mauern dieser erstickten Stadt. Sie lag im duftenden Gestrüpp auf den Hügeln, im Meer, in den freien Ländern und im Gewicht der Liebe.“ (Albert Camus, Die Pest, Deutsch von Uli Aumüller, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 339f)

 

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1 Antwort zu Auf der Suche nach einem Ort, der „Heimat“ heißt

  1. Willy Stucky sagt:

    Tja, und schon sind wir inmitten der riskantesten Wortklauberei. Ich sage das Folgende als Schweizer, der gerne an der bedeutenden Kultur der deutschsprechenden Erdenbürger Teil hat: Nur weil die Nationalsozialisten das Wort „Heimat“ propagandistisch missbraucht hatten, lasse ich mir diese Vokabel nicht nehmen, schliesslich kommt es nie auf einzelne Wörter an, sondern immer auf Texte, und was der übersetzte Text bedeutet, ist unmissverständlich: Die pestinfizierte Stadt ist keine Heimat, sondern „im duftenden Gestrüpp auf den Hügeln, im Meer, in den freien Ländern und im Gewicht der Liebe jenseits der Mauern dieser erstickten Stadt“ ist Heimat.
    Somit stellt sich die Frage, ob Camus ein „selbsternannter Heimatschützer“ war. Ich meine die Frage durchaus ernst, denn aus Deutschland höre ich zurzeit vor allem Zahlen: Es gelte, die Renten zu sichern. Achtzig Millionen hätten wirtschaftlich keine Zukunft usw. Wohlan! Heimat hat tatsächlich nichts mit Zahlen zu tun. Insofern zeugt „Utopie Heimat“ von absolut konsequentem Denken, auch wenn an der diesjährigen Biennale in Wuppertal wohl nicht in erster Linie davon die Rede sein wird. Die Moral wird obenauf schwimmen wie Fettaugen auf der Suppe – die gleichen Fettaugen, die wir um jeden Preis erhalten wollen. Kurz: Wir können alle verstehen, denen es nicht um Heimat geht, sondern um Fleischtöpfe …

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