„7. November, 45 Jahre alt. Wie beabsichtigt ein Tag des Alleinseins und der Besinnung. Schon jetzt mit der Loslösung beginnen, die mit 50 vollendet sein muss. An dem Tag werde ich herrschen.“
Seinen 50. Geburtstag hat er nicht mehr erlebt. Die Loslösung war nicht vollendet, sie kam plötzlich und endgültig. So hatte er das vermutlich nicht gemeint mit seiner nachdenklichen Notiz zum 45. Geburtstag. Heute wäre er 102 geworden. Joyeux anniversaire, Monsieur Camus – et merci pour tout!
Als ich mich vor vierzig Jahren intensiv mit Camus befasste, war die zur Diskussion stehende Notiz vermutlich noch nicht veröffentlicht. Umso dankbarer bin ich Frau Reif für diesen Beitrag.
Camus hatte offensichtlich die Absicht, sich von der Bürde der ausschliesslich engagierten Literatur allmählich zu befreien, sich vom „service exclusif du malheur“ zu verabschieden.
Ist dies egoistisch? Natürlich ist es das! Aber wir müssen genauer hinschauen: Im grandiosen Essay „L’exil d’Hélène“ hat der Meister sein Dilemma analysiert; und da kommen die selbsternannten Altruisten und Philanthropen, die ihren Mitmenschen ihre Moral aufzuzwingen versuchen, meines Erachtens zu Recht nicht gut weg.
Es lohnt sich, dieses Essay wieder mal unvoreingenommen zu lesen. Kein anderer Intellektueller des vergangenen Jahrhunderts hat die Widersprüche unserer rein geschichtlichen Existenz wohl klarer gesehen als Albert Camus, der sich zehn Jahre nach der Niederschrift von „L’exil d’Hélène“ anlässlich seines fünfundvierzigsten Geburtstags offensichtlich entschlossen hat, sich nicht mehr (indirekt) von denen beherrschen zu lassen, die die Geschichte machen, denn „la nature est toujours là […]. Elle oppose ses ciels calmes et ses raisons à la folie des hommes.“