Im Januar 2023 reiste ich von Wuppertal in den mir bis dahin völlig unbekannten Ort Hövelriege zur Uraufführung von Martin Bretschneiders Camus-Theaterstück A Misson for Sisyphos – und die weite Anreise hatte sich gelohnt. Von meiner Begeisterung habe ich natürlich hier berichtet und dem Stück damals dringend weitere Aufführungen gewünscht – was zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen stand (Superman Sisyphos – ein Camus-Abend mit Witz und Tiefgang).
Umso mehr freue ich mich, dass A Mission for Sisyphos inzwischen etliche weitere Aufführungen erlebt hat und jetzt auch in Wuppertal zu sehen sein wird. In dem von Martin Bretschneider erdachten Stück trifft Albert Camus auf den syrischen Pianisten Aeham Ahmad und den kosovarischen Geflüchteten Atdhe Ramadani, der antike Rebell Sisyphos und Kriegsgott Ares treten ebenso auf wie der algerische Arzt Dr. Bernard Rieux aus Camus‘ Roman Die Pest, und es geht um die großen Themen, die Camus in seinen Werken auf vielfältige Weise variiert hat: Um die Absurdität des Daseins, den Hass auf den Tod, die Verachtung der Götter und die Liebe zum Leben. Mehr dazu kann man in dem oben erwähnten Blogbeitrag und im Interview mit Martin Bretschneider nachlesen, dass ich seinerzeit im Vorfeld der Premiere mit ihm geführt habe (A Mission for Sisyphos – Martin Bretschneider bringt einen Camus-Abend auf die Bühne).
Vor der Aufführung in Wuppertal in der kommenden Woche hatte ich Gelegenheit, erneut mit Martin Bretschneider zu sprechen und ihm einige Fragen zu stellen:
Martin, A Misson for Sisyphos hatte im Januar 2023 Premiere – seitdem habt ihr das Stück insgesamt 13 Mal an acht verschiedenen Orten gespielt. Wie ist Deine Erfahrung aus diesem Zeitraum?
Martin Bretschneider: Wir haben insgesamt zwei Mal an Schulen, sechs mal beim SJC Hövelriege, wo das Stück ja auch produziert wurde, und fünf Mal an kleinen Bühnen gespielt, und wir sind super happy mit den Reaktionen. Das Stück kommt in allen Altersklassen super an, weil es uns offensichtlich gelungen ist, die schweren Themen des Abends mit Humor und Aehams wunderbarer Musik zu einem Mosaik zusammenzufügen, das sowohl das Herz als auch den Verstand anspricht. Besonders berührend sind Reaktionen von Menschen, die ähnlich wie wir der aktuellen Migrationsdebatte fassungslos gegenüberstehen und dankbar sind für unser klares Statement zur Solidarität. Ich glaube, dass sich gerade bei Menschen, die selbst Fluchterfahrungen haben oder sich für Geflüchtete einsetzen, eine gewisse Resignation ob der politischen Stimmung breit macht. Dem setzen wir etwas entgegen.
Du verknüpfst in diesem Stück ja Elemente aus der Biographie von Camus und Passagen aus verschiedenen seiner Werke mit den realen Biographien deiner Mitspieler Atdhe Ramadani und Aeham Ahmad, der als „Pianist aus den Trümmern“ bekannt geworden ist – und damit auch ganz allgemein mit dem Thema Flucht und Migration. Wie Du schon angedeutet hast: Das gesellschaftliche Klima in Bezug auf dieses Thema ist in jüngster Zeit deutlich rauer geworden. Schlägt sich das irgendwie auch auf eure Produktion nieder – oder auf eure Stimmung als Spieler?
M.B.: Ja, das spüren wir ganz deutlich. Immer wieder passen wir Inhalte des Stückes auf aktuelle Entwicklungen an, immer wieder sind wir geschockt, wie das Thema Migration zum Problem hochgepusht wird und Dinge, die vor Kurzem noch unsagbar oder unvorstellbar schienen, plötzlich gesagt und gemacht werden. Das sogenannte „Sicherheitspaket“, das grade verabschiedet wurde, stellt einen weiteren massiven Eingriff in das Grundrecht auf Asyl und andere Grundrechte von Menschen dar – sicherer wird damit jedoch nichts. Die großen Probleme unserer Zeit bleiben unangetastet. Anstatt sie anzugehen, werden Migrant*innen zum Sündenbock gemacht. Das ist schockierend und unsere Aufführungen spiegeln das durchaus wider. Ganz im Sinne Albert Camus‘ lassen wir uns von dieser Stimmung jedoch nicht niederdrücken, sondern machen weiter, und lassen nicht locker, sprechen die Skandale an. An manchen Stellen kriegt unser Spiel inzwischen eine ganz andere Schärfe, in der man die Verzweiflung spürt. Ich bin dankbar dafür, auf der Bühne Dinge aussprechen zu können, die ich den manchen Leuten gerne jeden Tag ins Gesicht schreien würde.
Du hast in deinem Stück trotz der insgesamt schwergewichtigen philosophischen Themen von Camus und der gesellschaftlichen Brisanz immer wieder auch Momente der Komik und Heiterkeit eingebaut. Wie schwer ist es, angesichts der momentanen Situation solche Leichtigkeit rüberzubringen – und wie wichtig ist es Dir? Oder hat sich Deine Haltung dazu geändert?
M.B.: Es ist so unglaublich wichtig, den Humor zu behalten. Wenn wir den nicht hätten, würde eine Lähmung eintreten – bei uns im Team und im Publikum – und das wäre schrecklich. Ich bin so froh, dass Aeham, Atdhe, Felix und ich da so ähnlich ticken. Und grade die Verzweifelten, die Erschöpften, die unser Stück sehen, brauchen ja die Momente des Humors, der Leichtigkeit. Wir alle brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Dieses Geschenk wollen wir uns gegenseitig machen.
Es ist wirklich faszinierend, wie die Philosophie Albert Camus‘ einem da Trost und Kraft an die Hand gibt. Die Dialoge aus der „Pest“ zum Beispiel, die wir eingebaut haben, treffen die aktuelle Situation auf den Kopf: „Es geht um Anstand“.
Termin: Freitag, 18. Oktober, 19.30 Uhr, auf der „Insel“, Wiesenstraße 6, 42105 Wuppertal. Eintritt: 18 / 8 Euro im Vorverkauf über www.wuppertal-live.de. 20 /10 Euro an der Abendkasse.
Eine Veranstaltung der Armin T. Wegner Gesellschaft e.V. in Kooperation mit Insel e.V. Dieser Theaterabend findet im Rahmen der Internationalen Armin T. Wegner Tage 2024 statt (mehr dazu: www.armin-t-wegner.de)
Der als „Pianist aus den Trümmern“ international bekannt gewordene Aeham Ahmad wuchs als palästinensischer Flüchtling im Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus auf. 2015 floh er nach Deutschland. Hier wurde er mit dem Internationalen Beethoven-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet. Atdhe Ramadani musste als Kind aus dem Kosovo fliehen und wuchs in Schloss Holte-Stukenbrock auf. Martin Bretschneider war als Schauspieler unter anderem am Schauspielhaus Graz, am Theater in der Josefstadt Wien und am Bochumer Schauspielhaus engagiert. Am Theater Rottstraße 5 in Bochum spielte er Albert Camus‘ Caligula. In Wuppertal konnte man ihn bereits 2013 im Café Ada als Sprecher in dem musikalisch-literarischen Abend „Suite Camus“ erleben. Er ist in zahlreichen TV- und Filmproduktionen zu sehen, derzeit steht er gemeinsam mit Felicitas Woll und Steve Windolf für die ZDF-Reihe Neuer Wind im Alten Land vor der Kamera. 2013 wurde er für seine grenzüberschreitende Jugendtheaterarbeit mit dem Sport- und Jugendclub Hövelriege mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. Mehr dazu, zu seiner Person und zu seiner Beziehung zu Albert Camus hier im Blog:
Von Fußball, Völkerverständigung und die Traumbesetzung für die „Suite-Camus“.
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