Merci, Albert, für die schönen Begegnungen!

„Camus und ich“ beim Lesefestival „Der Berg
liest“ in Wuppertal. ©Foto: Klaus Dreisbusch

Zum ersten Mal habe ich in diesem Jahr mitgemacht beim großen nachbarschaftlichen Lesefest „Der Berg liest“ in Wuppertal, und darüber bin ich sehr froh! Das war ein sehr schöner Sonntagnachmittag und -Abend für mich, und das einzige, was mir daran nicht gefallen hat, ist, dass ich nicht zugleich selber vorlesen und herumwandern und zuhören konnte. Gefreut habe ich mich über Nachbarn, Freunde und Bekannte, die endlich mal gucken wollten, was ich da immer mit diesem Camus habe, genauso wie über Zuhörer*innen, die extra wegen Camus gekommen sind und solche, die eher zufällig reinschauten und geblieben sind. Bei jeder Leserunde neu war greifbar im Raum zu spüren, wie Camus‘ Gedanken und seine Sprache die Zuhörenden in den Bann zog, sie berührte und bewegte. Und besonders gefreut habe ich mich darüber, wie sich im Anschluss in intimer Runde immer auch noch ein Gespräch und Gedankenaustausch entsponnen hat. Es war eine Erfahrung, die mir sehr viel gegeben hat, und ich möchte mich heute dafür bei allen, die dazu beigetragen haben, ganz herzlich bedanken! Und auch bei Albert, der mir wieder einmal so schöne Begegnungen beschert hat.

Einige der Essays, die ich ausgewählt habe, hatte ich selbst länger nicht mehr gelesen, und obwohl ich manchmal denke, jetzt müsste ich sie langsam auswendig kennen, habe ich sie doch wieder neu entdeckt. Und erneut wahrgenommen, wie sich bei Camus die großen thematischen Linien durch sein ganzes Werk ziehen. Es ist keine Schande, glücklich zu sein“, schreibt der 24- oder 25jährige Camus in dem Essay Hochzeit in Tipasa. Man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe, lässt Camus seinen Dr.Rieux fast 20 Jahre später in Die Pest zu dem Journalisten Rambert sagen, der zunächst alles daran gesetzt hatte, aus der geschlossenen Stadt Oran zu fliehen. Ja. Aber man kann sich schämen, ganz allein glücklich zu sein”, antwortet Rambert – und bleibt.

Bei der schönen Aktion „Der Berg liest“ habe ich und haben sehr viele Menschen ihr sonst eher einsam-zweisames Leseglück mit anderen Menschen geteilt. Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich habe dabei (einmal mehr) erfahren, dass sich Glück, das man teilt, nicht verringert sondern auf wundersame Weise vermehrt. Mit diesem Gedanken wünsche ich allen noch einen schönen Feiertag!

 

P.S. Jetzt habe ich tatsächlich vergessen, wer mich an diesem Nachmittag alles nach dem Rezept für die tarte au citron gefragt hat… Falls Ihr hier mitlest: Erinnert mich doch hier im Kommentar daran oder schreibt eine Mail!

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Das gibt’s nur in Wuppertal: Ein Berg, der liest! Heute! Camus und ich machen auch mit

Ich kam um sechs Uhr abends in Prag an. Ungesäumt brachte ich meinen Koffer in die Gepäckaufbewahrung. Ich hatte noch zwei Stunden vor mir, um ein Hotel zu finden. Und ein eigenartiges Gefühl von Freiheit beschwingte mich, weil meine Koffer nicht mehr an meinen Armen zogen. Ich trat aus dem Bahnhof, ging Gärten entlang und befand mich auf einmal in der Wenzelsstraße mitten in dem um diese Tageszeit dichten Gedränge. Ich war von einer Million Menschen umgeben, die schon vor meiner Ankunft gelebt hatten, von deren Dasein jedoch nichts bis zu mir gedrungen war. Sie lebten. Ich war Tausende von Kilometern von der Heimat entfernt. (…)“¹

Wer wissen will, wie es weiter ging mit Camus‘ Aufenthalt in Prag, was er erlebte und empfand, der muss jetzt entweder die Geschichte Tod im Herzen raussuchen oder heute nachmittag zum Lesefest „Der Berg liest“ nach Wuppertal kommen. Ich lese diesen und weitere Literarische Essays von Camus in der Diakoniekirche, Friedrichstraße 1. Keine Angst, es wird nicht sakral. Im Vorraum steht ein gemütliches Sofa, es gibt Kaffee, und die, die zuerst kommen, haben Glück und kriegen was von Tarte au chocolat oder Tarte au citron ab! Später gibt’s auch noch Wein und Käse.

Wer noch mehr vom Lesefest mitkriegen will, kommt am besten zu Beginn oder Ende seiner Tour, weil die Diakoniekirche eher am Rande des Geschehens liegt. Eine Übersichtskarte mit allen Terminen gibt es hier.

Heute, 1. Oktober 2017. Ich lese in der Diakoniekirche, Friedrichstr. 1, Wuppertal-Elberfeld um 15.10 Uhr, 16.20 Uhr, 17.45 Uhr, 19.10 Uhr, 20.20 Uhr jeweils 25 bis 30 Minuten.

 

¹ Albert Camus, Tod im Herzen aus Licht und SchattenLiterarische Essays, Deutsch von Guido G. Meister, Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959, S. 48.
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Eine „femme revoltée“: Lou Marin über Rirette Maîtrejean

Das „AZ“ – Autonome Zentrum in Wuppertal. Foto: Anne-Kathrin Reif

Gleich bei mir um die Ecke in Wuppertal in dem schönen bunten Stadtviertel, das sich „Nordstadt“ nennt und Platz für viele verschiedene Lebensformen bietet, liegt das „Autonome Zentrum“. Ein paar hundert Meter nur, ach, noch nicht mal – aber Berührungspunkte gibt es trotzdem nicht. Außer wenn dort alle paar Monate mal mit so lautstarker Musik gefeiert wird, dass es mich einen Teil meines Schlafes kostet. Geschenkt.  Morgen Abend aber werde ich erstmals hingehen, und das verdanke ich zumindest mittelbar Camus – was mir schon seit Tagen ein fröhliches Grinsen ins Gesicht zaubert. Ist doch verrückt, dass Camus nun sogar dafür sorgt, dass ich nach Jahrzehnten in Wuppertal meine Stadt und sogar meine Nachbarschaft besser kennenlerne! Ganz allein ist es Camus freilich nicht, da braucht es noch ein verbindendes Zwischenglied, und das ist in diesem Fall Lou Marin, Camus-Kenner, Übersetzer von Camus‘ Libertären Schriften und des dicken Doppelbandes seiner Combat-Texte.

Lou Marin, geboren 1961, kommt selbst aus dem politischen Aktivismus der „Graswurzelrevolution“ und ist Mitherausgeber der gleichnamigen gewaltfrei-anarchistischen Monatszeitung. Seit Ende der 1970er-Jahre ist er in gewaltfreien Aktionsgruppen im Rahmen der Anti-Atomkraft-Bewegung sowie der Friedensbewegung und vielen weiteren Initiativen aktiv. Anders als für mich gibt es für ihn natürlich keine Berührungsscheu gegenüber einer anarchistisch orientierten „autonomen Szene“. Und so ist er am morgigen Freitag, 29. September, dort mit einem Vortrag zu Gast, den er im Mai dieses Jahres bereits bei der Albert Camus-Gesellschaft in Aachen gehalten hat: „Die Anarchie der Rirette Maîtrejean“. Mal ganz abgesehen davon, dass ich es immer spannend finde, von außergewöhnlichen Frauen zu erfahren, die in den Geschichtsbüchern nicht mal als Fußnote vorkommen, gibt es in diesem Fall sogar tatsächlich eine direkte Verbindung zu Albert Camus. Mehr davon wird man morgen beim Vortrag erfahren – aber vorab habe ich Lou Marin kurz befragt.

Rirette Maîtrejean. Foto: wikicommons

Kurz gefragt: Wer war Rirette Maîtrejean?

Lou Marin: Rirette Maîtrejean (1887-1968) war eine aktive französische Anarchafeministin der zweiten Generation, das heißt nach Louise Michel. Louise Michel starb 1905, die aktivste Zeit von Rirette Maîtrejean war von 1905-1914.

Albert Camus ist erst 1913 geboren. Wann und in welchem Zusammenhang ist sie ihm begegnet?

Lou Marin: 1940 arbeitete sie kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen infolge der Niederlage der französischen Armee in Paris als Korrekturleserin bei der Tageszeitung Paris Soir, wo seit wenigen Monaten auch Camus einen Sekretärsposten angenommen hatte. Rirette Maîtrejean und Camus führten dann den Exode, jene drei Monate Flucht vor den Nazis in den Süden bis nach Lyon im selben Auto der Zeitung Paris Soir durch. Dabei informierte die weitaus ältere und erfahrenere Maîtrejean Camus über die Geschichte der französischen anarchistischen Bewegung.

Inwieweit hat sie deiner Meinung nach einen Einfluss auf das Denken Camus’ ausgeübt?

Lou Marin: In vorderster Reihe der anarchistischen Bewegung war Rirette Maîtrejean zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Victor Serge vor dem Ersten Weltkrieg, besonders zur Zeit der Attentate und bewaffneten Raubüberfälle der Bonnot-Gruppe, für die sie beide fälschlicherweise mit angeklagt im großen AnarchistInnenprozess von 1913 vor Gericht saßen. Rirette Maîtrejean hatte jedoch bereits vorher die anarchistische Attentatspolitik aus individualanarchistischer und anarchafeministischer Sicht entschieden kritisiert und wurde dafür zum Teil heftig aus anderen anarchistischen Reihen angegriffen. Camus nahm in Der Mensch in der Revolte und im Theaterstück Die Gerechten wesentliche Motive der Attentatskritik Maîtrejeans auf.

Über die Verbindung zu Camus hinaus – was macht sie in deinen Augen heute so bedeutend, dass du dich so ausgiebig mit ihr beschäftigt hast?

Lou Marin: Ihre Kritik des Attentats, auf deren Sinnlosigkeit für eine revolutionäre Strategie sie hinwies und wobei sie die so genannten „Kollateralschäden“, also unschuldige und zufällige Opfer in den Mittelpunkt stellte; ihre Kritik als Anarchafeministin an patriarchalen Strukturen auch innerhalb des Anarchismus; ihr Festhalten an einem emanzipatorischen Begriff individueller Freiheit, der auch in sozialistischen Vergesellschaftungsvisionen nicht aufgegeben werden darf, dabei kritisierte sie im weiteren Verlauf der Zwanzigerjahre auch ihren ehemaligen Lebensgefährten Victor Serge.

Termin:
Lou Marin: „Die Anarchie der Rirette Maîtrejean“. Freitag, 29. September 2017, 19.30 Uhr, im Autonomen Zentrum Wuppertal, Markomannenstr. 3 (Eintritt frei).

Buch:
Lou Marin:  Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin, Verlag Graswurzelrevolution, 262 Seiten, 16,90 Euro
(ISBN 978-3-939045-26-7). Mehr dazu auf der Verlagswebseite.

 

Verwandte Beiträge:
Zwei Menschen in der Revolte: Rirette Maitrejean und Jean Ziegler
„Freiheit um der Freiheit willen“ – Eine Begegnung mit Lou Marin

 

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Figurentheater Ravensburg wird für „Das Missverständnis“ ausgezeichnet

Preiswürdig: „Das Missverständnis“ beim Figurentheater Ravensburg (©Foto ebd.)

Eine erfreuliche Nachricht, die es verdient, hervorgehoben zu werden, erreicht mich soeben über den Blog: Das Figurentheater Ravensburg hat mit dem Stück Das Missverständnis von Albert Camus den Landesamateurtheaterpreis Baden-Württemberg 2017 in der Kategorie Puppen- und Figurentheater gewonnen. „Möge der Preis dazu beitragen, dass das Ensemble weiterhin den Mut aufbringt, ungewöhnliche und anspruchsvolle Stücke für Erwachsene auf der Figurentheaterbühne zu verwirklichen“, sagt dazu die Jury. Dieser Aufforderung kann ich mich nur anschließen und gratuliere sehr herzlich!

Das Stück wird im Rahmen der Preisverleihung am 1. Oktober 2017 um 11 Uhr im Theater Die Käuze, Königsberger Straße 9, in Karlsruhe aufgeführt. In Ravensburg selbst steht es am 21. Oktober und am 25. November, 20 Uhr, wieder auf dem Programm.

Mehr Wissen:
Alle zwei Jahre verleiht Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg den bundesweit einzigen Staatspreis für Amateurtheater LAMATHEA. Er wird in sieben Kategorien vergeben und ist mit insgesamt 12.000 Euro dotiert, die sich die prämierten Schauspielensembles teilen. In diesem Jahr gab es 159 Bewerbungen aus ganz Baden-Württemberg um den Preis. Das Preisträgerfestival findet vom 30. September bis 2. Oktober 2017 in Karlsruhe statt. Mehr Infos zum Programm hier.

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Visconti-Verfilmung von „Der Fremde“ ist in Karlsruhe zu sehen

Meursault (Marcello Mastroianni) im Gefängnis. Szene aus Luchino Viscontis Verfilmung von „Der Fremde“. ©Editions Gallimard

Immer wieder mal werde ich nach Luchino Viscontis berühmter Verfilmung von Camus‘ Roman Der Fremde gefragt – ob man sie irgendwo als DVD beziehen kann, wo der Film mal wieder läuft. Die schlechte Nachricht ist: Es gibt ihn zumindest in deutsch synchronisierter Fassung immer noch nicht als DVD. Dabei hätte es in diesem Jahr eigentlich einen schönen Anlass gegeben zum 75. „Geburtstag“ von Camus‘ L’Étranger und dem 50. der Verfilmung von Visconti. Wer des Italienischen mächtig ist, kann sich den Film aber jetzt im Original auf DVD anschauen, denn das Verlagshaus hinter den italienischen Zeitungen Repubblica/L’Espresso hat 2017 eine Visconti-Werkausgabe auf DVD herausgebracht. Mit im Paket: Lo Straniero. Die zunächst genannte schlechte Nachricht hat aber auch eine gute Seite, denn so bleibt es etwas ganz Besonderes, den Film auf der großen Leinwand anschauen zu können. Eine Gelegenheit dazu gibt es am 27. und am 29. September in der Kinemathek Karlsruhe. Mark Tykwer, Veranstalter der Filmreihe Movie in Motion und im Besitz der vielleicht letzten verbliebene deutsch-synchronisierte 35mm-Kopie, wird den Film aus Wuppertal mitbringen.

Nett am Rande: Die Veranstalter kündigen dazu einen Büchertisch mit Das Café der Existenzialisten von Sarah Bakewell an, das ich kürzlich mit großem Vergnügen zu lesen begonnen habe. Empfehlen kann ich es schon jetzt, Besprechung folgt irgendwann…

Termin: Der Fremde, (Italien/Frankreich/Algerien 1967, Luchino Visconti mit Marcello Mastroianni, Anna Karina. 35mm, 104 Min., dt. Fassung), Kinemathek Karlsruhe, Studio 3 Kaiserpassage 6: 27. September, 19 Uhr, 29. September, 21.15 Uhr.

Mehr zum Film gab’s bereits im Blog: Eine Rarität: Visconti-Verfilmung von „Der Fremde“  in Wuppertal

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Albert Camus und seine Briefpartner sind Thema bei den Rencontres Méditerranéennes im Oktober in Lourmarin

Blick auf Lourmarin, wo im Oktober wieder die Rencontres Méditerranéennes Albert Camus stattfinden. ©Foto: Anne-Kathrin Reif

So gerne denke ich an meinen Aufenthalt in Lourmarin vor zwei Jahren, als ich bei den Rencontres Méditerranéennes einen Vortrag halten durfte, so viele andere Camus-Kennerinnen und -Enthusiasten kennenlernte und von Camus‘ Terrasse aus auf die Hügel in der Abenddämmerung blickte. Das waren unvergessliche Momente!

Auch in diesem Jahr finden die Rencontres wieder statt, diesmal mit dem Thema „En amitié proche: Albert Camus et ses correspondants.“ Ein spannendes Thema, offenbart sich in den erst in den letzten Jahren nach und nach veröffentlichten Briefwechseln etwa mit René Char, Roger-Martin du Gard oder Jean Grenier doch noch einmal sehr viel mehr vom Menschen Albert Camus, als wir durch seine Werke und deren Interpretationen kennen. Ich wünsche schon jetzt allen Camus-Freunden und -Freundinnen zwei wunderbare, inspirierende Tage!

Info: Die XXXIV. Rencontres Méditerranéennes finden am Freitag und Samstag, 6. und 7. Oktober 2017, im Salle Camus in Lourmarin statt. Das genaue Programm siehe unten oder auf der Webseite sowie auf der Facebook-Seite der Rencontres.

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„Der Berg liest“ – und 365 Tage Camus ist auch dabei

Der Berg liest  und 365 Tage Camus ist auch dabei. In diesem Jahr habe ich mich entschlossen, bei dieser schönen Aktion am 1. Oktober einmal nicht als Zuhörerin unterwegs zu sein sondern selber vorzulesen. Gar nicht so leicht diese Entscheidung, denn es macht immer großen Spaß, den ganzen Tag lang nach Lust und Laune von Ort zu Ort zu gehen und den verschiedendsten Lesungen zu lauschen. Und dabei bei wildfremden Menschen im Wohnzimmer, in der Küche, auf dem Dachboden, im Treppenhaus oder meinetwegen auch in der Garage zu sitzen. Es soll sogar schon mal jemand im Auto oder in einer Telefonzelle vorgelesen haben, aber das habe ich nicht selbst erlebt. Vorgelesen wird das, was dem Vorlesenden am Herzen liegt – egal ob eigene Texte, Gedichte, Romanauszüge, Märchen oder Kurzgeschichten, ob Zeitgenössisches oder Klassiker.

Dabei kann man natürlich schöne Entdeckungen machen. Literarische Entdeckungen, menschliche Entdeckungen, die eigene Nachbarschaft entdecken und das Viertel, denn gelesen wird auchin Ladenlokalen, Kneipen, Ateliers, Klassenzimmern, Werkstätten und Cafés. „Der Berg“, das ist die Wuppertaler Nordstadt, der „Ölberg“, der so heißt, weil dieses Viertel einst als letztes der Stadt elektrifiziert wurde und die Bandweber, die hier vorwiegend lebten, ihre Heimarbeit bis in die Nacht beim Schein der Öllampen verrichteten. Es ist übrigens eines der größten sanierten Altbaugebiete mit Bebauung überwiegend aus dem 19. Jahrhundert und der Jahrhundertwende in Deutschland, das glücklicher Weise von den verheerenden Bombenangriffen auf Wuppertal im Zweiten Weltkrieg verschont blieb. Ich finde: Auch wenn die Idee dieses Lesefestival vielleicht erstmal die war, dass Nachbarn sich gegenseitig und ihr eigenes Viertel besser kennenlernen, ist es auch für auswärtige Besucher eine ganz besondere Gelegenheit, einen sehr schönen Teil von Wuppertal zu entdecken und seine netten Bewohner kennenzulernen. Und wollten Sie nicht sowieso immer schon mal mit der Schwebebahn fahren?

Die Idee zu diesem Lesefestival, das heuer schon zum vierten Mal stattfindet, hatte der Verein „Unternehmer/innen für die Nordstadt e.V.“. Der Verein koordiniert die Aktion und organisiert die Öffentlichkeitsarbeit. Beim letzten Mal gab es 200 Lesungen an 70 Orten, und die Veranstalter hoffen natürlich, dass diese Zahl auch in diesem Jahr wieder erreicht wird. Für Nordstädter und Ölbergerinnen, die hier mitlesen: Bis zum 14. September kann man sich noch anmelden. Macht doch auch mit!

Bei so einem Angebot fällt die Auswahl natürlich schwer, aber ich hoffe, dass doch der ein oder die andere den Weg zu mir und Camus finden wird. Ich lese allerdings nicht im Wohnzimmer sondern in unmittelbarer Nachbarschaft in der Diakoniekirche, Friedrichstraße 1. Keine Sorge, sakral wird es nicht. Die frühere Kreuzkirche wird von der Diakonie als ein sozio-kultureller Nachbarschaftstreffpunkt betrieben, mit einem Gemeinschaftsgarten, Suppenküche und Café und verschiedenen Angeboten. Sie liegt freilich am Rande des „Ölbergs“ und somit nicht im Zentrum des Geschehens. Umso besser geeignet als Ausgangs- oder Endpunkt der Lesetour, für die man am 1. Oktober von 10 Uhr bis Mitternacht Zeit hat. Alle Leseorte werden in einer Karte verzeichnet, die man sich hier schon mal anschauen kann. Sicher werden aber noch Stationen hinzukommen.

Bis dahin habe ich noch Zeit mich zu entscheiden, was ich Ihnen vorlesen werde. Fest steht bislang nur, dass es eine Auswahl aus den Literarischen Essays von Camus sein wird (und vielleicht auch die ein oder andere Kleinigkeit aus dem Blog). In kleinen Portionen von 20 bis maximal 30 Minuten, und zwar um 15.10 Uhr, 16.20 Uhr, 17.45 Uhr, 19.10 Uhr, 20.20 Uhr. Am besten, Sie merken sich das schon mal vor. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, Sie zu sehen! In diesem Sinne: à bientôt!

Termin: 1. Oktober 2017. Sie treffen mich in der Diakoniekirche, Friedrichstr. 1, Wuppertal-Elberfeld. Uhrzeiten siehe oben.

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Schockstarre oder Selbstgerechtigkeit? Camus-Gesellschaft in Aachen lädt wieder zur Diskussionsrunde ein

Auch die Albert Camus-Gesellschaft in Aachen kehrt aus der Sommerpause zurück und lädt wieder einmal im Monat zum offenen Gesprächskreis ein. Wenn ich die Ankündigungen lese, tut es mir immer leid, nicht dabei sein zu können. Denn hier treffen sich keine Camus-Experten, die über die einzig gültige Auslegung der Textpassage xy im Vergleich zu yz debattieren. Das kann zwar auch interessant sein, aber mir gefällt, wie Gesprächsleiter Sebastian Ybbs immer wieder die Brücke von Camus zu ganz und gar gegenwärtigen Themen schlägt und die Teilnehmer*innen dazu bringt, nicht nur über Camus sondern auch über sich selbst und die Welt, in der wir leben, nachzudenken und sich darüber auszutauschen.

Schockstarre oder Selbstgerechtigkeit?
Wie reagieren wir, wenn wir Menschen in Not wahrnehmen?

So lautet das Thema zur Saisoneröffnung am kommenden Dienstag, 5. September. Als Impuls und Brücke zu Camus hat Sebastian Ybbs eine schöne Passage aus Der Fall gefunden:

«Es war eine Stunde über Mitternacht; ein feiner Regen fiel, ein Nieseln vielmehr, dass die vereinzelten Fußgänger verscheuchte. Ich kam eben von einer Freundin, die nun gewiss bereits schlief. Ich war glücklich über diesen Gang durch die Nacht, ein wenig benommen, und das Blut, das meinen beruhigten Körper durchpulste, war sanft wie der Regen. Auf der Brücke erblickte ich eine Gestalt, die sich über das Geländer neigte und den Fluss zu betrachten schien. Im Näherkommen gewahrte ich, dass es eine schlanke, schwarz gekleidete junge Frau war. Zwischen dem dunklen Haar und dem Mantelkragen war ein frischer, regennasser Nacken sichtbar, der mich nicht gleichgültig ließ. Eine Sekunde lang zögerte ich, dann setzte ich meinen Weg fort. Auf dem anderen Ufer schlug ich die Richtung zum Platz Staint-Michel ein, wo ich wohnte. Ich hatte schon etwa fünfzig Meter zurück gelegt, als ich das Aufklatschen eines Körpers auf dem Wasser hörte; in der nächtlichen Stille kam mir das Geräusch trotz der Entfernung ungeheuerlich laut vor. Ich blieb jäh stehen, wandte mich jedoch nicht um. Beinahe gleichzeitig vernahm ich einen mehrfach wiederholten Schrei, der flussabwärts trieb und dann plötzlich verstummte. In der unvermittelt erstarrten Nacht erschien mir die zurückgekehrte Stille endlos. Ich wollte laufen und rührte mich nicht. Ich glaubte, dass ich vor Kälte und Fassungslosigkeit zitterte. Ich sagte mir, dass Eile not tat, und fühlte, wie eine unwiderstehliche Schwäche meinen Körper überfiel. Ich habe vergessen, was ich in jenem Augenblick dachte. „Zu spät, zu weit weg ..“ oder etwas Derartiges. Regungslos lauschte ich immer noch. Dann entfernte ich mich zögernden Schrittes im Regen. Ich benachrichtigte niemand.»¹

Termin: Dienstag, 5. September, 20 Uhr, im LOGOI, Jakobstraße 25a in Aachen (kein Eintritt). Weitere Termine: 17. Oktober, 7. November, 5. Dezember.

¹ Albert Camus, Der Fall. Deutsch von Guido G. Meister. Rowohlt Sonderausgabe März 1961, Seite 75-76. Originalausgabe: La chute, Gallimard, Paris 1957.

 

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Ein Spielplatz für Sadisten? – „Caligula“ hatte am Hessischen Staatstheater in Darmstadt Premiere

Caligula (Christoph Bornmüller) schaukelt am Hessischen Staatstheater Darmstadt. Im Vordergrund seine Geliebte Drusilla (Gabriele Drechsel), hinten Stefan Schuster und Yana Robin la Baume. ©Foto: Robert Schittko.

Da habe ich den Caligula in Berlin und Düsseldorf in der Saisonvorschau angekündigt und dabei übersehen, dass er in Darmstadt schon längst gestartet ist… Aber beim Fischen im Worlwideweb rutscht halt öfter mal was durchs Netz. Premiere war am 25. August beim Hessischen Staatstheater Darmstadt, und so gibt es auch schon einige Premierenkritiken. Christoph Mehlers Inszenierung kommt dabei nicht sonderlich gut weg. Von „zähem Witzeaufsagen, langwierigem Hin und Her, strapaziösem Gezeter und Gezicke“ berichtet Shirin Sojitrawalla auf Nachtkritik.de; dass andererseits „dem Abend im Zusammenspiel des Schurken-Paares rührende Momente“ gelingen scheint da ein bisschen wenig. Stefan Benz wundert sich in der  Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Spielplatz für Sadisten“: „Uli Aumüllers Übersetzung von Albert Camus‘ Drama ,Caligula‘ liest sich als Polit- und Psychothriller so packend, dass einem die Maßlosigkeit des Diktators erschreckend aktuell vorkommen muss. Das Darmstädter Staatstheater reagiert mit seiner ersten Saison-Premiere dieses selten gespielten Stücks also auf die Krise der Demokratien und den Vormarsch der Autokraten. Und das Bemerkenswerteste an Christoph Mehlers Inszenierung in den Kammerspielen ist, dass sie dieses Angebot konsequent ignoriert.“ Was stattdessen aus Sicht des Kritikers geboten wird, gibt der Text zwar durchaus her, klingt aber langweilig: „Caligula macht aus Rom ein Bordell, und bei Hofe ergehen sie sich unter der Sado-Schaukel ruckelnd und juckelnd in masochistischer Erregung.“ Auch Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau ist nicht überzeugt: „In den Kammerspielen in Darmstadt zeigt sich die Geschichte um den Politiker, der sich alle Freiheiten nimmt, als am Ende liebevoll, aber unverbindlich inszenierter Alptraum.

Aber wie immer gilt: Man muss sich selbst ein Bild machen.

Im Programmheft, das man über die Theaterseite runterladen kann, heißt es: «Regisseur Christoph Mehler liest „Caligula“ als „Oratorium für einen Despoten“, eine Sinn-Suche, bei dem alle Figuren des Stücks das Gedankenspiel eines Menschen sind. In Kaiser Caligulas Kopf kommt es dabei zu einer Verschiebung: von der Normalität zur Perversität. Ein großer, oft chorischer Todesgesang erklingt. Kaiser Caligula wird zum „Negativ Jesus“, der die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert, sie auf den Prüfstein stellt und Möglichkeiten zu einer Umwälzung, einer neuen Gesellschaft gibt. Er tut das mit eigenem, schmerzhaften Einsatz, indem er sein Leben zur Disposition stellt. „Caligula“ als Spiel über Leben und Tod, Gott und Teufel und einen Kaiser, der sich seiner gestalterischen Machtposition bewusst wird und die hedonistische, vorteilsbedachte, egoistische Patriziergemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert.»

Ebenfalls dort findet sich ein Kurzinterview mit Christoph Mehler. Auf die Frage, warum das Stück gerade jetzt für ihn so wichtig sei, antwortet der Regisseur: „Caligula ist sicherlich ein wichtiges Stück, weil es uns dazu auffordert über den Sinn und Unsinn des Lebens nachzudenken. Es ist ein unangenehmes Stück, weil es uns keine Antworten liefert, sondern uns in Caligulas schrecklichen Abgrund zieht, in eine Welt voll Chaos, Hass und Gewalt. Ich lese das Material als einen Aufruf für Menschlichkeit, Solidarität, Altruismus, Empathie und Liebe.

Das hat Christoph Mehler aus meiner Sicht schön und richtig auf den Punkt gebracht. Nun bin ich aber sehr neugierig geworden, ob und wie sich diese Auffassung entgegen der Kritiken in seiner Inszenierung nicht vielleicht doch noch wiederfindet. Die Termine sind jedenfalls schon mal vorgemerkt!

Termine: 
2. und 9. September, 1. Oktober, 5. und 10. November, 22. und 27. Dezember. Info und Karten hier.

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Saisonstart an den Theatern: Caligula ist eine Frau, und Clamence tanzt. Meursault und Moussa kommen wieder.

Das Euro Theater Central in Bonn bringt Camus‘ Roman „Der Fall“ in einer Fassung für einen Schauspieler (Raphael Traub) und einen Tänzer (Olaf Reinecke) auf die Bühne. ©Foto: Lilian Szokody

Im September gehen bei den Bühnen im Land die Vorhänge wieder auf. Da wird es Zeit, sich die Theaterprogramme für die kommende Spielzeit vorzunehmen und nach Camus zu durchforsten. Das April-Hoch mit zwölf deutschsprachigen Bühnen, die Camus spielen, wird in dieser Saison wohl nicht erreicht werden. Aber immerhin habe ich doch schon einige Premieren entdeckt, ebenso wie Häuser, die „ihren“ Camus aus der abgelaufenen mit in die kommende Spielzeit nehmen. Das Neue aber zuerst.

Caligula in Berlin und in Düsseldorf

Sowohl das Schauspielhaus in Düsseldorf als auch das Berliner Ensemble bringen eine neue Inszenierung von Camus‘ Caligula heraus. Das Berliner Ensemble (BE) eröffnet am 24. September die erste Spielzeit unter der Intendanz von Oliver Reese gar mit Caligula – ein starkes Statement zur Aktualität von Camus. Schließlich hat Oliver Reese es  ausdrücklich als Auftrag an das Berliner Ensemble formuliert, „sich mit den drängenden Themen unserer Zeit zu beschäftigen und gesellschaftliche Fragen auf der Bühne zu diskutieren“. Despotismus, übersteigerter Machtwille, Willkürherrschaft und die vielfältigen Weisen, darauf zu reagieren – an aktuellen Bezügen zur Gegenwart besteht gewiss kein Mangel, und man darf gespannt sein, wie sich das in der Inszenierung von Antú Romero Nunes niederschlagen wird. Die Titelrolle hat der Regisseur mit einer Frau besetzt: Constanze Becker kehrt mit dieser Inszenierung von Frankfurt/Main nach Berlin zurück. Caligulas Geliebte Caesonia wird konsequenter Weise von einem Mann (Oliver Kraushaar) verkörpert. Termine: Premiere 21. September (ausverkauft), 29. September., 1., 2., 10., 17., 18., 25., 29. Oktober. Infos zum Vorverkauf hier. Auf die Inszenierung am Schauspielhaus Düsseldorf muss man leider noch etwas länger warten, die Premiere ist erst für März 2018 angekündigt.

Der Fall als getanzter Bühnenmonolog in Bonn

Beim kleinen Euro Theater Central in Bonn waren die Inszenierungen von Camus‘ Die Gerechten und Der Fremde über Jahre Dauerbrenner. Jetzt sind sie (vorerst) aus dem Programm verschwunden. Dafür kommt aber zum Saisonstart am 14. September eine neue Produktion heraus: In Zusammenarbeit mit der Tanzkompanie bo komplex entsteht eine Bühnenversion von Camus‘ Roman Der Fall (Inszenierung: Bärbel Stenzenberger, Musikkomposition: Helena Rüegg). Eine Tanztheaterproduktion auf so kleiner Bühne bei so großer Nähe zum Publikum ist eine spannende Sache. Ebenso die Frage, wie die Inszenierung Körper- und gesprochene Sprache bei diesem Text, der ein einziger großer Monolog ist, zusammenbringen wird. Ein Schauspieler (Raphael Traub) und ein Tänzer (Olaf Reinecke) werden gemeinsam auf der Bühne agieren. Termine: 14., 15., 16. September, 20 Uhr, 17. September, 18 Uhr, 23. und 24. Oktober, 20 Uhr. Infos zum Vorverkauf hier.

Der Fremde auf der Bühne des Societätstheaters in Dresden

Der Fremde ist zwar bekanntermaßen kein Theaterstück, dennoch hat es in jüngerer Zeit mehrfach Bühnenfassungen von Camus‘ Roman gegeben. Darunter auch das Societätstheater in Dresden, das die Inszenierung von Arne Retzlaff aus der vergangenen Saison wieder aufnimmt. Termine: 14. und 30. Oktober, 20 Uhr.

Der Fall Meursault bei den Münchner Kammerspielen

Furore gemacht hat die „Gegendarstellung“ zu Camus‘ Roman von Kamel Daoud Der Fall Meursault, in dem der von Meursault getötete namenlose Araber einen Namen, Moussa, und eine Geschichte erhält – erzählt von seinem Bruder. Auch dieser Roman hat es ja schon längst mehrfach auf die Bühne geschafft. Bei den Münchner Kammerspielen erfährt die Inszenierung von Amir Reza Koohestani eine Neuauflage. Termine: 6. und 29. Oktober, 20 Uhr. Eine Kostprobe gibt’s hier im Video:

 

Ich würde natürlich wieder mal am liebsten für sämtliche Aufführungen quer durch die Republik reisen. Leider bleibt es aus Mangel an Zeit und Gelegenheit zumeist bei den Ankündigungen. Aber wenn Sie, liebe Blog-Leserinnen und Camus-Freunde, eine Aufführung gesehen haben, dann berichten Sie doch hier im Kommentar davon. Ich bin mir sicher: Auch die anderen Leser*innen werden sich freuen! In diesem Sinne: Auf eine spannende Theatersaison 2017/18 und à bientôt!


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