Souvenir der letzten Frankreich-Reise: Bei einem Sight-Seeing-Zwischenstopp in der Saline royale in Arc-en-Senans fand sich dort überraschend eine Ausstellung mit Originalen von Jacques Ferrandez‘ Camus-Adaptionen.
Wuppertal, Samstag, 9. Februar 2019. Heute Abend macht Joachim Król auf seiner Erfolgstour mit Camus’ Der erste Mensch Station im Wuppertaler Opernhaus. Ein Camus vor Ort – und ich gehe nicht hin? Nun, ich habe die Vorstellung ja schon im vergangenen Jahr in Düsseldorf gesehen und hier besprochen, und für ein zweites Mal hat meine (leicht verhaltene) Begeisterung dann doch nicht gereicht. Aber es hat mir den Anstoß gegeben, es mir an diesem verregneten Wochenende auf der Couch gemütlich zu machen und noch einmal in aller Ruhe in Jacques Ferrandez Version von Le premier homme als bande dessinée einzutauchen. Die ist nämlich so großartig, dass man sie immer mal wieder vornehmen und seine Freude daran haben kann. Wer die bandes dessinées oder graphic novels aus Unkenntnis gedanklich immer noch in der Kinder-Comic-Ecke einsortiert, dem seien die Camus-Adaptionen von Ferrandez wirklich ans Herz gelegt. Außer Le premier homme gibt es noch L’Hôte und L’Etranger aus seiner Feder, alle drei bei Gallimard erschienen – leider gibt es (bislang) nur letzteren auch in deutscher Übersetzung bei Stuart & Jacoby.
Es ist Nacht, ein Pferdekarren kämpft sich über ein kaum befestigtes Schottersträßchen, es schüttet, auf dem Karren liegt eine Frau in den Wehen… Wie Camus’ biographischer Roman beginnt auch Ferrandez mit der Fahrt über Land und der Geburt auf dem Lehmboden der Küche, nachdem das Paar sein Ziel erreicht hat. Es ist Camus’ eigene Geburt auf dem Weingut Saint-Apôtre, wo sein Vater als Verwalter angestellt war, eine Tages- und eine Nachtreise entfernt von Algier.
Wie im Roman spielt die nächste Szene 40 Jahre später, als Jacques Cormery, wie Camus sein alter ego genannt hat, auf dem Soldatenfriedhof von Saint-Brieuc in der Bretagne das Grab seines im ersten Weltkrieg gefallenen Vaters besucht, den er kaum gekannt hat. Ein gut aussehender Typ im Trenchcoat, dieser Cormery wie Jacques Ferrandez ihn zeichnet, mit einem ganz leicht abgeknickten Ohr – unverkennbar eine Reminiszenz an Camus, aber doch ohne direkte Porträtähnlichkeit: Er ist es, und er ist es nicht – so wie Camus über sich und sein Leben schreibt und das Ganze doch in Romanform ein Stück weit von sich weggerückt hat.
Wenig später reist Cormery per Schiff nach Algerien. Im Halbschlaf in der heißen Kabine vor sich hin dämmernd überfallen ihn die Erinnerungen an seine Kindheit. Er ist inzwischen ein gefeierter Autor. Um das deutlich zu machen, schiebt Ferrandez eine Szene aus Paris dazwischen, in der er wunderbar einfängt, wie Camus sich in diesem gesellschaftlichen Pariser Leben als Fremder fühlt, selbst wenn er im Mittelpunkt steht. Und dann die Überfahrt nach Algier. In Rückblenden entfalten sich die Geschichten der Kindheit – das Hinausstürmen zu den Freunden, nachdem der verhasste Mittagsschlaf mit der furchteinflößenden Großmutter überstanden war. Die Fahrt mit der Bahn zum Strand, das Baden im Meer. Der Hundefänger auf der Jagd nach Streunern. Mit dem Onkel und seinen Kumpels auf Hasenjagd gehen. Die Schläge der Großmutter.
So geht es weiter zwischen Szenen des erwachsenen Cormery auf der Suche nach seinen Wurzeln und Rückblenden in die Kindheit. Ferrandez fängt die großen, wichtigsten ein und schafft es stets, ihre besondere Atmosphäre spürbar zu machen. Dabei erscheint seine Bildwelt zugleich ausgesprochen detailreich wie mit klarem Strich aufs Wesentliche konzentriert. Anders als bei Der Fremde und Der Gast, wo viel geschwiegen wird, gilt es diesmal, auch viel Text in dieser Bildergeschichte unterzubringen. Aber auch das gelingt Ferrandez fabelhaft in Kombination von direkter Rede (in Sprechblasen) und begleitendem Text, immer wieder unterbrochen von Bildern, die ganz ohne Text auskommen aber genauso sprechend sind. Aufgrund der großen Textmenge hat man dieses „Bilderbuch“ nicht mal schnell durchgeblättert sondern kann damit gut und gern ein regnerisches Wochenende wie dieses auf der Couch verbringen.
Camus Roman Le premier homme ist bekanntlich ein Fragment geblieben, sowohl von der geplanten Stoffmenge als auch hinsichtlich Anmerkungen für zu überarbeitende Stellen und wohl auch ohne den letzten sprachlichen Schliff. In der gezeichneten Version von Jacques Ferrandez erscheint Le premier homme wie aus einem Guss.
- Jacques Ferrandez, Le premier homme. D’après l’oeuvre d’Albert Camus. Gallimard, Paris 2017, 184 p., 210 x 280mm, 24,50 Euro.
Jacques Ferrandez zeichnet „Le premier homme“:
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