Zugegeben, dass klingt jetzt ein bisschen nach Fünfjähriger, die um das große Weihnachtspaket herumtanzt… Aber ein großes Paket ist es ja auch, das Paket mit den Autorenexemplaren. Und ein Geschenk ist es auch: ein Geschenk an mich selbst. Denn ich habe dieses Buch aus einem einzigen Grund angefangen und auch zu Ende gebracht: Weil ich es immer schon wollte. Jedenfalls seitdem meine Dissertation Die Welt bietet keine Wahrheiten sondern Liebesmöglichkeiten nur online publiziert wurde (eines der ersten E-Books sozusagen) und nie zwischen zwei Deckeln gelandet ist. Und nachdem ich gemerkt habe, dass sie dort zwar abgerufen wird, aber meine Gedanken zu Camus auf diesem Weg nicht bei den Menschen landen, bei denen sie am besten aufgehoben sind: Nicht nur bei den wissenschaftlichen Camus-Forschern sondern bei den leidenschaftlichen Lesern. Bei denen, die oft schon lange mit Camus durchs Leben gehen, die vielleicht an manchen Stellen mit ihm ringen, die nicht aufgehört haben, zu fragen und verstehen zu wollen. Die mit Camus bestimmte Bilder verbinden – den rätselhaften Fremden, den gottfernen Sisyphos, die Kämpfer gegen die Pest oder, oder… Aber die vielleicht nicht das Ganze als Ganzes im Blick haben.
Denn als ein Ganzes hat Camus sein Werk angelegt: Ein Ganzes, das sich in drei „Stadien“ entwickelt, und das er jeweils in den drei Formen Essay, Roman und Theaterstück ausarbeiten wollte. Das erste Stadium, das des Absurden: Der Mythos von Sisyphos, Der Fremde, Caligula und Das Missverständnis. Das zweite Stadium, das der Revolte: Die Pest, Die Gerechten, Der Belagerungszustand, Der Mensch in der Revolte. Das dritte Stadium sollte das der Liebe sein. Wir wissen es: Er hat dieses Werkstadium nicht vollenden können, ja – es gerade erst begonnen mit dem nur als Fragment zurückgebliebenen Roman Der erste Mensch. Aber wenn es so ist, dass das Stadium der Revolte folgerichtig und notwendiger Weise aus dem des Absurden hervorgeht, dann liegt es nahe, anzunehmen, dass sich das geplante Stadium der Liebe mit vergleichbarer Folgerichtigkeit an die vorangegangenen Stadien angeschlossen hätte. Und dann müsste sich dessen Spur auch im vorliegenden Werk von Camus zurückverfolgen lassen.
Wenn wir von diesem gleichsam erweiterten Standpunkt aus den Blick auf das Werk von Camus zurückwerfen, dann springt eine verblüffende Erkenntnis heraus: Obwohl die Liebe nirgendwo in den vorhandenen Werken ausdrückliches Thema ist, obwohl es nicht mal irgendeine längere zusammenhängende Passage über die Liebe gibt – begegnet sie uns bei Camus überall. Freilich: Die Brille, die jeder auf der eigenen Nase trägt und die unseren je eigenen Blick auf das bestimmt, was für uns Liebe heißt, müssen wir dabei erstmal absetzen. Und auch der Hoffnung auf eine verklärende „Erlösung durch die Liebe“ – etwa in der geglückten Paarbeziehung oder der dann doch endlich gefundenen Gottesliebe – sollte man besser nicht nachhängen. Solche Vorstellungen führen in die Irre. Jedenfalls, was das Denken von Camus angeht.
In meinem Buch Albert Camus – Vom Absurden zur Liebe verfolge ich diese Spur, die auf das „dritte Stadium“ hinführt. Albert Camus hat kein philosophisches Systemgebäude hinterlassen. Sein Denken ist ein Weg. Diesen Weg habe ich, so wie ich ihn erkenne, in meinem Buch noch einmal abgeschritten. Ich habe an manchen Stellen innegehalten und habe den Blick ziemlich weit über den philosophischen Horizont schweifen lassen, um dann zu Camus zurückzukehren und den Weg fortzusetzen. Das Ganze ist kein leichter Spaziergang. Camus‘ Denk-Weg führt entlang an schwindelerregenden Abgründen und durch lebensfeindliche Zonen, in denen das mörderische „Klima der Absurdität“ herrscht. Aber er bietet auch wunderbare Wegstrecken, an denen der Duft von Mandelblüten und Heliotrop in der Sonne aufsteigt, der Blick übers Meer geht, und das Glück ganz nah ist.
Ich verspreche keine letztgültige „Wahrheit über Camus“. Mein Buch ist nur eine Einladung an die Leser, diesen Weg noch einmal mit mir mitzugehen.
P.S. Vor einigen Monaten hätte ich es noch für überflüssig gehalten, aber aus aktuellem Anlass scheint mit der Zusatz angeraten: Camus‘ eigene Liebesgeschichten, die Anzahl seiner Geliebten und der Zustand seiner Ehe spielen für mich bei all dem keine Rolle.
* Anne-Kathrin Reif, Albert Camus – Vom Absurden zur Liebe. Djre Verlag, Königswinter 2013, 442 Seiten, Klappenbroschur, 21,90 Euro (ISBN 978-39816109-0-1).
… und es ist einfach schön! Und fesselnd – schon nach den ersten Seiten hätte ich es am liebsten nicht mehr aus der Hand gegeben.
Heute mittag hat Jutta Baden es gebracht. Ich kann es nicht glauben, dass dieses „Werk“ vor kurzem noch ein „Projekt“ war, mit allerhand Unwägbarkeiten belastet, und dass Sie es neben den „dreihunderfünfundsechzig Tagen“ in so kurzer Zeit vollendet haben.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Frau Reif!
– Und vielen Dank für die klaren Worte zu dem „Anreißer“. –
Liebe Frau Schlette, „in so kurzer Zeit“, naja… das hat ja alles schon eine sehr lange Geschichte… Aber darüber, dass es überhaupt zur Welt gekommen und nicht im „Projektstadium“ geblieben ist, darüber staune ich selbst noch! Wenn es nun in Ihnen bereits eine Leserin gefunden hat, freut es mich umso mehr. Mit herzlichem Dank und Gruß, Ihre Anne-Kathrin Reif
Sehr geehrte, liebe Frau Reif,
jetzt, glaube ich, sollte ich Ihnen auch mal antworten, wo ich doch schon so lange Ihren Blog lese – mit Freuden lese. Ich gehöre eher zu der oben beschriebenen Sorte „leidenschaftlicher Leser“, der bereits seit Mitte der 60er Jahre mit Camus durchs Leben geht, alles sammelt, was sich irgendwie mit Camus beschäftigt und damit auch Ihre Dissertation – und zwar zwischen zwei Deckeln. Aus dem Internet kopiert und in einen Ordner gepackt!!
Glückwunsch zu Ihrem Buch, das ich mir natürlich jetzt sofort besorge und lesen werde.
Herzliche Grüsse aus Aachen
Ihr
Günter Sydow