Schon seit einer Weile liegt dieses dicke, bunte Buch bei mir und wartet darauf, besprochen zu werden: Jonas oder der Künstler bei der Arbeit von Camus, in eine Graphic Novel übersetzt von Katja Fouquet – der erste Camus-„Comic“ in deutscher Sprache. Wozu gleich zweierlei anzumerken ist: 1. „Comic“ trifft es in diesem Falle noch weniger als sonst bei Veröffentlichungen innerhalb dieses zumindest in Deutschland noch recht jungen Genres, und 2. es ist gut, dass das Buch eine Weile gelegen hat und ich es inzwischen mehrfach zur Hand genommen habe, um es anzuschauen, von Anfang bis Ende zu lesen, wieder zu schauen, zu blättern und noch einmal zu lesen. Wobei lesen und schauen im Fall einer Graphic Novel natürlich zusammengehören. Jedenfalls kann man zwar anschauen ohne (im Detail) zu lesen, umgekehrt funktioniert es jedoch nicht.
Erstens also: Graphic Novel ist tatsächlich ein passender Begriff, denn die Berliner Illustratorin Katja Fouquet bedient sich neben der Elemente des Comics wie Bilderfolgen, Sprechblasen und lautmalerischer Wörter weiterer visueller Stilmittel, die etwa an die Bildberichterstattung in Illustrierten erinnern oder an einen Kunstkatalog. Einige ihrer ganzseitigen Illustrationen könnten sogar durchaus als eigenständige künstlerische Arbeit für sich stehen. Eine graphische Erzählung, eine Erzählung in Bildern – das passt.
Nur – welche Erzählung eigentlich? Und in was für Bildern? Mit diesen Fragen kommen wir zu Punkt zwei: Das Buch hat mich, voller Neugier und Vorfreude (als erklärte Freundin des Genres der Graphic Novel) ausgepackt und angeschaut, nicht auf Anhieb überzeugt. Ich war irritiert. Das fängt schon beim Umschlagbild an: Poppig-bunt und mit ein wenig naiv anmutendem Strich kommt es mir vor, als sei bei dieser Veröffentlichung eine jugendliche Zielgruppe im Blick gewesen, der auf diese Art und Weise eine Camus-Novelle nahegebracht werden soll. Das allerdings führt komplett in die Irre, denn die Problematik von Camus‘ Erzählung ist durch und durch eine erwachsene, die auch durch bunte Bilder nicht näher an die Lebenswelt von Jugendlichen heranrückt.
Auch im Inneren setzt sich dieser scheinbar naive Stil der Zeichnungen durchaus fort, wenn auch die Bilderzählung rasch an Komplexität gewinnt.
Nun die Erzählung selbst: Katja Fouquet erzählt nicht Camus‘ Erzählung in Bildern nach, sie übersetzt sie auch nicht in Bilder – sie adaptiert die Geschichte, und zwar streckenweise auf recht freie Art und Weise; sie macht sie sich zu eigen und schmückt sie mit ihren eigenen Vorstellungen aus, wobei sie sich auch nicht scheut, den handelnden Personen eigene Worte in die Sprechblasen zu legen. Das fällt zwar schnell auf (vermutlich würde niemand Ausrufe wie „cool“ und „wow“ oder „voll gemütlich!“ mit Camus in Verbindung bringen), irritiert aber dennoch erstmal. Vor allem ganze Episoden, die den Kunstbetrieb betreffen, hat die Illustratorin offenbar aus ihrer eigenen Erfahrung oder Vorstellung in die Geschichte hineingewoben und das Geschehen ohnehin gleich von Paris nach Berlin verlegt.
Ich war froh, als ich feststellte, dass im Anschluss an den Bildteil auch der Originaltext von Camus zur Gänze abgedruckt ist – von Katja Fouquet durchaus spaßig im Sinne einer fiktiven Biographie mit kleinen zeichnerisch bearbeiteten Fotografien versehen. Jonas oder der Künstler bei der Arbeit ist eine von jenen Erzählungen Camus‘, die man nicht unmittelbar mit seinem Hauptwerk und dessen philosophischer Dimension in Verbindung bringt; eine jener Erzählungen aus der Novellen-Sammlung Das Exil und das Reich, die ohnehin beim breiten Publikum weniger bekannt sind, und von der selbst bei den Camus-Interpreten (mich eingeschlossen) im Wesentlichen der legendäre Schluss Beachtung findet: Das Bild, an dem der Künstler Gilbert Jonas nach einer schweren Schaffenskrise tagelang wie ein Besessener gearbeitet hat, entpuppt sich als weiße Leinwand, auf der in winzig kleiner Schrift ein einziges Wort geschrieben steht, das sich nicht eindeutig entziffern lässt: Es kann ebenso solitaire heißen wie solidaire – einsam oder gemeinsam.
Allein diesen Text von Camus wieder oder neu zu entdecken lohnt sich: Ein Text von so vollendeter Ironie, in seinem vermeintlich harmlos-freundlichen Ton so voll von beißendem Spott für die Hohlheit und Selbstgefälligkeit des Kunst- (und sonstigen Kultur-)betriebs, dass es wahrlich eine Freude ist – und dahinter das Drama des Künstlers, dem der Erfolg mit seinen gesellschaftlichen Konsequenzen zugleich seine Schaffensgrundlage entzieht; seine Verstrickung in Abhängigkeiten, die falschen Freunde, der Neid, der Absturz, die Häme, die blendende Bewunderung und die bösartige Kritik, seine eigene Zerrissenheit zwischen seinem Künstlertum und den Ansprüchen (und zuweilen auch Freuden) des Familienlebens – all das, was Camus nach dem Kritiksturm für Der Mensch in der Revolte und der Nobelpreisverleihung schon selbst erfahren hatte, als er 1957 Jonas oder der Künstler bei der Arbeit veröffentlichte.
Um diesen großartigen Text wiederzuentdecken bräuchte man nun nicht unbedingt bunte Bilder. Oder vielleicht doch? Nach der Lektüre des Originaltextes entdecke ich die Bild-Erzählung noch einmal neu: Wie Katia Fouquet geradezu synästhetisch den wachsenden Trubel um Jonas, das Gedrängel und Geplapper in Bilder übersetzt; wie in dem Maß, wie die Bedrückung für Jonas zu- und seine Kreativität abnimmt auch die Farbigkeit der Bilder schwindet; wie Jonas die Gesichter der gerade noch so hippen Künstlerfreunde und Verehrerinnen nur noch als Fratzen wahrnimmt. Bei aller Freiheit, die sich die Illustratorin nimmt: Sie trifft die Essenz der Camus’schen Erzählung und setzt sie ebenso subtil wie überzeugend um. Ganz nebenbei macht es auch Spaß, ihre Anleihen aus der Kunstgeschichte zu entdecken: Picassos Ziege und Mondrians Farben, hier ein Munch, da ein Lichtenstein und dort der Auftritt schriller Performancekünstlerinnen…
Vielleicht ist es gerade diese freie Aneignung der Geschichte, die deutlich macht, wie zeitlos und gegenwärtig die Essenz von Camus‘ Erzählung auch heute noch ist.
Albert Camus – Jonas oder der Künstler bei der Arbeit. Eine Graphic Novel von Katia Fouquet. Edition Büchergilde, Frankfurt/M., Wien, Zürich 2013. 160 Seiten, farbig, Hardcover, 24,95 Euro.
Wunderbar, liebe Anne-Kathrin Reif, wie Sie mit diesem vielschichtigen Buch umgehen! Ich hab´ es gleich wieder zur Hand genommen. –
Gern weise ich heute auf eine ganz andere Veröffentlichung hin.
Die Sommerausgabe des „philosophie MAGAZIN“, das u.a. an Bahnhofskiosken verkauft wird, bringt unter dem Titel „Camus. Das Glück der Rebellion“ etliche Kurzbeiträge zu A.C., darunter ein Interview mit Catherine Camus. Vor allem aber ist der Zeitschrift ein Booklet mit dem Originaltext der lang verschollenen Rede angeheftet, die Camus am 28. März 1946 in New York hielt. Ihr Titel: Die Krise des Menschen.
Eine originelle Idee! Sehr zu empfehlen!
Liebe Frau Schlette, das Philosophie Magazin habe ich mir sogleich heute besorgt, herzlichen Dank für den Tipp – ein Beitrag wird sicher folgen!