Aix-en-Provence. Als ich im Frühjahr im Blog auf die Ausstellung „Albert Camus, les couleur d’une oeuvre“ in Aix-en-Provence hingewiesen habe, wusste ich noch nicht, dass ich Gelegenheit haben würde, sie anzuschauen. Die Ausstellung in der Bibliothèque Méjanes und im dort angegliederten Centre de documentation Albert Camus will der Rolle der Farben in den Werken Camus’ nachspüren, wobei Künstler der Region die entsprechenden Farben beziehungsweise Textstellen bildnerisch umgesetzt haben – soweit die Ankündigung. Ich war freudig gespannt.
Nun hängt ja ganz allgemein die Bewertung von etwas auch immer mit den eigenen Erwartungen zusammen. Hohe Erwartungen ziehen folglich häufig enttäuschende Erfahrungen nach sich. Ich will also nicht ungerecht sein. Sagen wir’s so: Wäre dies eine Ausstellung von Oberstufenarbeiten, fächerübergreifender Unterricht, Leistungskurse Französisch und Kunst – sie wäre sensationell. Hut ab vor diesen Schülerarbeiten! Auch als Abschlussarbeit im Fach Kunstpädagogik würde sie noch mit einer sehr guten Note wegkommen. Nun handelt es sich aber um eine Ausstellung zum 100. Geburtstag eines sehr bedeutenden französischen Literaturnobelpreisträgers, die noch dazu als Beitrag zum Kulturhauptstadt-Jahr Marseille-Provence gekennzeichnet ist. Da wird es dann schon schwieriger.
Die Ausstellung in der Bibliothèque Méjanes – Cité du Livre erstreckt sich auf einen knappe zehn Meter langen Durchgang und gliedert sich in zwei Teile: Am Anfang schreitet man durch eine Reihe von langen, von der Decke herabhängenden weißen Fahnen. Sie sind mit kurzen Zitaten versehen, in denen die Farb-Wörter jeweils entsprechend auch blau, gelb oder rot hervortreten, sowie mit überdimensionalen Pinselspuren, ebenfalls in den entsprechenden Farben. Der zweite Teil besteht aus einer Reihe von Vitrinen, in denen die künstlerischen Objekte präsentiert werden: collage- bzw. assemblagehafte Buchobjekte, die die Atmosphäre eines camus’schen Farbklanges aufgreifen oder eine bestimmte Textstelle illustrieren. Auf dem Sockel der Vitrinen aus Press-Spanplatten sind die entsprechenden Zitate aufgebracht.
Über einen baumbestandenen Hof gelangt man zum Centre de documentation Albert Camus, einem schlichten kleinen Bau mit einem ebenerdigen Eingangsbereich, in dem der zweite Teil der Ausstellung präsentiert wird. Zur Einstimmung in das Farb-Thema sind in einem Vitrinen-Tisch kleine Schälchen mit leuchtenden Farbpigmenten auf einer Mittelmeer-Landkarte arrangiert und mit Camus-Textstellen versehen. Es schließen sich einige weitere Vitrinentische an, in denen einige Fotografien von Camus, Buchausgaben sowie eine Reihe von Typoskripten und handschriftlichen Blättern zu sehen sind. Die Textstellen, in denen es um Farben geht, sind mit kleinen Papierpfeilen markiert. Das Ganze ist mit sehr knappen Erläuterungen versehen: Camus habe die Worte benutzt wie einen Pinsel, heißt es. Sein Vorgehen beim Schreiben sei dem eines Malers ähnlich, der zunächst mit dem Bleistift die grobe Form festlegt, um sie dann zu konkretisieren und weiter auszuarbeiten. Die vielen Streichungen und Korrekturen in seinen Typoskripten bestätigen das, und es ist in der Tat spannend, nachzuvollziehen, wie Camus an einer Textstelle gefeilt – wie er sie gleichsam übermalt und ausgemalt hat. Seine winzig kleine Handschrift einmal im Original zu sehen, ist berührend. Und mehr noch dieses schon etwas verblichene Schwarz-Weiß-Foto (aus Privatbesitz seiner Jugendfreundin Marguerite Dobrenn), aufgenommen 1937 in seiner Wohnung in der Rue Michelet in Algier, das den 23- oder 24-Jährigen mit schmalem, nackten Oberkörper beim Rasieren zeigt – ein selten intimer Moment. Aus urheberrechtlichen Gründen (mal wieder) durfte ich diese Vitrinen natürlich nicht fotografieren.
Verwehrt blieb auch der Aufstieg in die darüber liegende Etage, wo unter dem Spitzdach Bücher, Dokumente und Fotos aus dem Camus-Nachlass verwahrt werden. Vielleicht wäre der Zugang zu Forschungszwecken möglich gewesen (wobei ich nicht weiß, ob ein Blog dem Anspruch genügt hätte), aber ich hatte es versäumt, beizeiten dafür um Erlaubnis nachzusuchen.
So bleibt von diesem Besuch vor allem eines: Die (nun wirklich hübsche) Anregung, Camus einmal mehr mit einem neuen Blick zu betrachten und lesend den Farben seines Werkes nachzuspüren.
Die zahlreichen für die Ausstellung zusammengetragenen Textstellen hätten dafür ein hilfreicher Leitfaden sein können – allein, die bereitgehaltenen Fotokopien waren bereits seit einiger Zeit vergriffen, man bedaure. Sie nachzuproduzieren hatte man sich bislang offenbar nicht in der Lage gesehen.
Info: Die Ausstellung in Aix-en-provence läuft noch bis zum 26. Juli. Bibliothèque Méjanes – Cité du livre, Rue David/ 8-10 Rue des Allumettes (di-sa 14-18 Uhr). www.citedulivre-aix.com
Deshalb fährt der Pariser auch nur zur Erholung in die Provinz. Kulturelles nimmt er nur als „Son et Lumiere“ im Kreise seiner Sommerfrische hungrigen Großfamilie wahr. Kulturelle Aufmandelungen von Provinzlern ohne Etat werden als Urlaubskuriosität belächelt, allenfalls mit regionalen Spezialitäten wie Wein oder Kulinarien verglichen. Deshalb darf die Elle zum Messen solcher regionaler Leistungen nicht zu hoch gesetzt werden. Aix ist nicht Tübingen. Dazu kommt bei Camus in Frankreich die politische Abstinenz der Linken. So bleibt es bei bescheidenen Ergebnissen kultureller Auseinandersetzung auf niedrigem Niveau. Es lebe die Gesamtschule!
Lieber Tillmann,
dieser Eindruck konnte in der Tat auch beim Besuch der Camus-Ausstellungen entstehen. Allerdings gingen mir die Augen über angesichts der dichten und absolut hochrangig besetzten Festivalkultur, auf die ich im Süden getroffen bin. Theater-, Tanz-, Opern- und Musikfestivals in Avignon, Montpellier, Aix-en-Provence, Orange und Marseille; von Jazz-, Club- und Worldmusik in Sète gar nicht zu reden. Auf den Programmzetteln so manche Compagnien und Künstler, die man vor einigen Jahren auch in deutschen „Provinz“-theatern noch erleben konnte, die aber inzwischen so weit kaputtgespart sind, dass man davon nur noch träumen kann. Sicher: Während hierzulande aufgrund der gewachsenen Ensemble-Theaterlandschaft immerhin noch die Chance auf ganzjährige kulturelle Versorgung besteht, sind das herausragende singuläre Ereignisse. Aber wenn schon Städte wie Wuppertal ihr Schauspielhaus schließen und dem Verfall preisgeben, innovative, engagierte junge Intendanten feuern und einen Orchesterchef zum Generalintendanten machen, der als erste Amtshandlung das komplette (übrigens brillante) Opernensemble rausschmeißt, um fortan nur noch mit Gästen zu arbeiten, dann kann man sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis man auch bei uns hochrangige (vielleicht aber auch langweilig-konventionelle) Kulturereignisse nur noch in Berlin, Hamburg und München erleben können wird. Und: Zumindest die, die in Wuppertal dafür verantwortlich sind, waren ganz sicher nicht auf einer Gesamtschule. Aber das nur am Rande.