Dass das erste Camus-Ereignis des Jahres, mit dem dann auch ein neues Blog-Jahr startet, ausgerechnet sein Tod ist, ist ja immer irgendwie doof. Ich hab’s schon früher bemängelt und den Tag hier auch nicht jedesmal begangen. Man kann die Geschichte schließlich auch nicht immer wieder neu erzählen.
Oder kann man doch? Schon eine ganze Weile hält sich die Erzählung, der Unfall am 4. Januar 1960 gemeinsam mit seinem Freund Michel Gallimard sowie dessen Frau und Tochter auf der Route National 6 bei Villeblevin sei in Wirklichkeit gar kein Unfall gewesen, sondern ein Anschlag des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Aufgebracht hat die Geschichte der italienische Journalist und Osteuropa-Experte Giovanni Catelli bereits 2013. Schon damals wurde die Theorie auch in deutschen Blättern diskutiert. Zehn Jahre später erschien Camus muss sterben im Dezember 2023 beim emons Verlag in deutscher Übersetzung und machte erneut in den Feuilletons erstaunlich Furore.
Schon 2024 wollte ich Ihnen und Euch zum Todestag hier eine fundierte Rezension bieten. Ihr seht ja, was daraus geworden ist. Nun gut, dann eben 2025… *ähm, hüstel* – leider nein. Vor ein paar Wochen bin ich zum wiederholten Male stecken geblieben. Sagen wir es mal so: Das spricht jetzt nicht unbedingt für eine begeisternde Lektüre.
Aber ich will es jetzt doch nochmal wissen, und damit ich dieses Mal dranbleibe, habe ich mir überlegt: Ich lege mal nicht die hohe Latte einer auf knappen Zeilen-Raum verdichteten journalistischen-literarischen Rezension an, sondern lasse Euch in den nächsten Wochen kapitelweise teilhaben an meiner Lektüre.
Vielleicht hat ja sogar der ein oder die andere Lust, sich das Buch auch vorzunehmen (oder hat es schon getan)? Dann könnten wir uns gern hier darüber austauschen.
Zum Start hier erstmal der PR-Text des Verlags:
Albert Camus‘ mysteriöser Todesfall neu aufgerollt: eine perfide Verschwörung des KGB? Eine Mischung aus Investigativ-Roman und Spionage-Thriller – glänzend recherchiert und hochspannend.
Frankreich, Januar 1960: Albert Camus und sein Verleger Michel Gallimard sind auf dem Weg nach Paris, als ihr Auto ins Schleudern gerät und gegen einen Baum prallt – Camus ist sofort tot. Die Kollision wird als tragischer Unfall zu den Akten gelegt. Doch mehr als vierzig Jahre später tauchen Informationen auf, die ein neues Licht auf das angebliche Unglück werfen: Sind dem Autor seine sowjetkritischen Reden letztlich zum Verhängnis geworden? Wurde Camus‘ Tod vom KGB geplant?
„Glänzend recherchiert“ also. Nun denn. Vielleicht habe ich mich bislang zu Unrecht gegen die Lektüre gesträubt, weil das einfach so sehr nach Verschwörungserzählung klingt, und ich gegen solche grundsätzlich hochallergisch bin.
Schließlich gibt es internationale Pressestimmen, die der Verlag anführt:
„Ein Text von bestechendem literarischen, biografischen, kritischen und historischen Wert.“ (Avvenire)
„Catellis Argumentation ist überzeugend… sein Buch bietet einen klaren und nützlichen Einblick in die Strömungen, durch die politische Schriftsteller während des kalten Krieges navigieren mussten.“ (Wall Street Journal)
… und ich erinnere mich an durchaus positive Kritiken in großen deutschen Feuilletons, die ich jetzt aber nicht wiederfinde. Dafür aber diese hier:
Im Gegensatz zu seinem Titel sei das Buch nicht reißerisch, sondern nachfragend, urteilte Marko Martin in der Lesart auf Deutschlandfunk Kultur am 20. Dezember 2023. Der Autor ginge vielen Spuren nach, führt er an und findet die Spuren durchaus nachvollziehbar. Zwar bemängelt er, dass Catelli nicht auch Indizien berücksichtigt, die gegen seine These sprechen, sieht aber dennoch keinen Anlass für den Vorwurf einer Verschwörungstheorie in „diesem klugen Buch.“ Nachzuhören ist die Rezension in Gänze online im Archiv des DLF.
„Hier ist kein Skandaljäger unterwegs, sondern ein Experte für die literarischen, historischen und politischen Ereignisse in Osteuropa, der als Korrespondent die Länder des ehemaligen Sowjetblocks bereist. Seine Nachforschungen fördern glaubwürdig Spuren zutage, die lange als verschollen galten bzw. nie an die Öffentlichkeit gelangen sollten“, schreibt Sylvia Treudl am 20.November 2023 auf buchkultur.net und betont: „Spuren, die auch Paul Auster überzeugen“.
Das allerdings wiegt für Fans des 2024 verstorbenen US-amerikanischen Autors, zu denen ich mich durchaus zähle, schwer. Auster hat ein kurzes Geleitwort zum Buch verfasst und schreibt darin: „Basierend auf jahrelanger sorgsamer Recherche konstruiert der Autor zwingende Argumente, um seine Behauptung zu stützen, sie seien die Opfer eines geplanten Mordes gewesen. Eine schreckliche Schlussfolgerung, aber schaut man sich die Belege an, die Catelli uns gibt, wird es schwierig, ihm nicht zuzustimmen. Dieser »Autounfall« sollte jetzt in eine andere Schublade eingeordnet werden, die der politischen Meuchelmorde.“
Ok, dies soll mal reichen, um neugierig auf dieses Buch zu machen – und vielleicht ja auch auf meine Lektüre. Seid gespannt, ich bin es auch! In diesem Sinne: à bientôt!
Info: Giovanni Catelli: Camus muss sterben. Aus dem Italienischen von Carsten Drecoll, Emons-Verlag, Köln 2023 (TB, 159 Seiten).
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