Vor einer Weile versprach ich, hier etwas zum Thema „Camus als Comic“ zu liefern. Gibt’s sowas? Und geht das überhaupt – ausgerechnet Camus? Nun, es gibt (noch) nicht sehr viel, aber das ein oder andere geht zumindest in die Richtung. Bevor jetzt Camus-Verehrer entsetzt aufschreien (Camus auf Micky Maus-Niveau! Sakrileg!) muss man für die, die es nicht wissen, vorausschicken, dass der Comic in Frankreich (und Belgien) eine ganz andere Rolle spielt als bei uns und durchaus nicht mit dem Untergang des Abendlandes gleichgesetzt wird sondern als eigenständige Kunstform gilt. Die bunten oder auch nicht bunten Bildergeschichten heißen dort auch nicht Comics sondern Bandes dessinées, füllen riesige Abteilungen in jedem gut sortierten Buchladen, und es gibt sie auf so ziemlich jedem Niveau zwischen Trash und anspruchsvoller visuell umgesetzter Literatur. Auch bei uns heißen diese Art von Bilderbüchern inzwischen nicht mehr Comics sondern Graphic Novels und erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit. Was für spannende Sachen es mittlerweile auf diesem Sektor auch auf dem deutschen Markt gibt, konnte ich übrigens vor einiger Zeit ausgerechnet im Buchladen neben der RGA-Redaktion in Remscheid erfahren. Dort findet man nicht nur eine gut sortierte kleine Abteilung mit aktuellen Graphic Novels sondern auch den Buchhändler Markus Pfeffer, einen absoluten Spezialisten auf diesem Gebiet. Das gab dann auch gleich eine schöne Geschichte.
Nun aber Camus. Die schlechte Nachricht: Das einzige, was wirklich den Namen Comic (oder eben bande dessinée) verdient, gibt´s bislang nur auf französisch. L´Hôte (Der Gast) ist eine Erzählung aus der Sammlung Das Exil und das Reich. Schauplatz ist eine einsame Gegend in Algerien am Rande der Wüste. Inmitten der steinigen Ödnis liegt eine von knapp zwei Dutzend Kindern aus den umliegenden Dörfern besuchte Schule. Jetzt, im Winter, führt der junge Lehrer Daru dort jedoch ein geradezu einsiedlerisches Leben. Eines Tages bringt ein alter Gendarm einen Araber zu Daru, der einen Mord begangen haben soll und übermittelt Daru den Befehl, den Araber anderntags an die Behörden in der zwanzig Kilometer entfernten Kreisstadt zu überstellen. Daru lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht beabsichtigt, den Befehl auszuführen. Am nächsten Morgen bringt er den Araber bis zu einer Wegscheide: Der eine Weg führt in den Ort, wo das Gefängnis auf ihn wartet. Der andere in die Wüste zu Nomaden, die ihn aufnehmen und beschützen würden. Der Lehrer versorgt den Araber mit Proviant und überlässt ihm die Wahl. Der Araber wählt den Weg zum Gefängnis. Daru kehrt in seine Schule zurück. Auf die Schultafel hat in der Zwischenzeit jemand mit ungelenker Schrift geschrieben: „Du hast unseren Bruder ausgeliefert. Du wirst bezahlen“.
Der selbst in Algerien geborene Zeichner Jacques Ferrandez hat die Geschichte für Gallimard-Jeunesse, mithin für ein eher junges Publikum umgesetzt. Es sind prägnante, erzählerische Bilder, die die Handlung eins zu eins wiedergeben. Atmosphärische farbige Zeichnungen ersetzen die literarischen Beschreibungen. Für das Wenige, das in der Geschichte gesprochen wird, reichen die Sprechblasen. Zuweilen kann man geradezu die Stille und das Schweigen hören, das aus den wortlosen Bildern aufzusteigen scheint. Ich halte diese Version von L´Hôte für eine ausgesprochen gelungene Umsetzung der Geschichte. Sie fängt den schroffen, rauen Charakter, den die Erzählung auch bei Camus hat, ebenso gelungen ein wie ihre Moral, bei der sich gut und böse nicht leichthin auf zwei Seiten verteilen lassen.
* Jacques Ferrandez, L´Hôte. D´Après l´oeuvre d´Albert Camus. Gallimard Jeunesse, Paris 2009, 64 S., ca. 14 Euro.
P.S. im August 2013: Die Buchhandlung Potthoff in Remscheid hat inzwischen ihre Comic-Abteilung wieder sehr heruntergefahren; den Comic-Spezialisten Markus Pfeffer findet man jetzt in der Comic-Buchhandlung Little Nemo, Südring 37, in Bochum.
P.P.S im August 2016: Die Buchhandlung Potthoff in Remscheid gibt es nicht mehr.