Immer wieder bin ich aufs neue verblüfft, wie viele Menschen an wie vielen Stellen des Lebens Inspiration aus der Beschäftigung mit Camus ziehen. Soeben entdeckte ich den Hinweis auf eine Performance mit dem Titel Café Müller: Camu(s)flage, die am Samstag, 5. Juli, in Gießen Premiere feiert. Es handelt sich um eine gemeinsame Produktion von Studierenden der Justus Liebig Universität Gießen mit Künstlern vom Berliner Theater Thikwa sowie mit Menschen aus Gießen und Umgebung.
Der Titel ließ mich gleich in doppelter Hinsicht aufhorchen: nicht nur wegen Camus, sondern weil ich bei Café Müller sogleich an meine allererste Begegnung mit dem Wuppertaler Tanztheater vor vielen Jahren denken musste – es war eben jenes Stück, Café Müller, auf lange Zeit das einzige, in dem die Jahrhundertchoreographin Pina Bausch selbst mit ihrem Ensemble auf der Bühne im Wuppertaler Opernhaus stand, und das bis heute mein Lieblingsstück geblieben ist.
Und tatsächlich: Pina Bausch und ihr Tanztheater, erfahre ich in der Pressemitteilung, dienten hier ebenso als Inspirationsquelle wie das Werk von Camus. „Studierende der Angewandten Theaterwissenschaft und Performer mit Behinderung von Berliner Theater Thikwa trafen sich im Sommersemester 2014 zu szenischen Workshops in Gießen und Berlin, um auf der Grundlage einer Re-Lektüre verschiedener Texte des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus und seiner Konzeption des Absurden ein mögliches soziales Probehandeln mit dem Anderen szenisch zu erforschen“, heißt es dort. Die wissenschaftliche Vorbereitung auf diese Kooperation fand bereits im letzten Wintersemester im Rahmen des Seminars „Living in Absurdistan – Camus und Ich, die Pest“ von Dr. Petra Bolte-Picker, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Diversity-Beauftragte im Dekanat des FB 05 Sprache, Literatur, Kultur der Uni Gießen, statt. Im Sommersemester schloss sich daran das Seminar „Café Müller: Tanz und Performance im sozialen Raum“ an.
In der Performance geht es nun ganz offensichtlich aber weder darum, Stellen aus dem Werk von Camus szenisch umzusetzen noch darum (Gott bewahre), Pina Bauschs Café Müller nachzutanzen. Vielmehr dient Pina Bauschs berühmte Aussage „mich interessiert nicht so sehr, wie sich Menschen bewegen, als was sie bewegt“ als Ausgangspunkt. Und was die Menschen bewegt, spricht immer auch vom gemeinsamen Anders-Sein, so die Überlegung: „Unter dem Titel Camu(s)flage soll bei dem Projekt den Fragen nachgegangen werden: Was bedeutet Fremd-Sein? Welche Rolle spielen gesellschaftliche Widersprüche in der Wirklichkeit des Alltags? Welche Gemeinschaft ist möglich, wenn die Bedürfnisse unvereinbar scheinen?“, erläutert Petra Bolte-Picker. Ausgehend von zum Teil widersprüchlichen Erfahrungen in einer WG, in der Welt von Ton, Geräusch und Musik und in einem persönlichen Austausch zum Mythos „Liebe“ wollen die Studierenden der Angewandten Theaterwissenschaft und die Performer von Theater Thikwa erfrischende Impulse geben – sowohl für das Theater als auch für das Leben heute.
Ihre Ergebnisse zeigen die Studierenden unter dem Titel Café Müller: Camu(s)flage in verschiedenen literarischen, musikalischen und getanzten Kurzbeiträgen. Unterstützt werden sie dabei von teilnehmenden Gießener Senioren und Seniorinnen sowie von der Tanzschule Timo Müller, Friedberg, und dem Hessischen Tanz- und Trachtenverein. Im Anschluss an die Szenische Präsentation findet ein Künstlergespräch statt.
Die Projekt wird gefördert von der Stiftung Diakonie Hessen Nassau sowie von Stiftung Fönix. Die Aktion Mensch unterstützt das Projekt mit knapp 5000 Euro im Rahmen der Förderaktion Noch viel mehr vor.
Termin: Samstag, 5. Juli 2014, 16 bis 17.30 Uhr, Audimax der Justus Liebig Universität Gießen, Philosophikum II, Haus A. Eintritt: 8 Euro, Schülerinnen/Schüler und Studierende 4 Euro, freier Eintritt für Schwerbehinderte. Tickets können per
E-mail reserviert werden unter racailles@web.de.